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Die Kunst, „Nein“ zu sagen

Mangelnde Abgrenzung führt zu Frustration bis hin zum Burn-Out.

Insbesondere im Arbeitsleben ist zu beobachten, dass es Frauen oft schwer fällt, sich in gesundem Maße abzugrenzen und auch mal eine Aufgabe abzulehnen.

Eigentlich ist der Schreibtisch schon voll mit Arbeit, drei umfangreiche Präsentationen müssen bis zum frühen Nachmittag korrigiert und überarbeitet sein. Das Telefon klingelt im Fünf-Minuten-Takt, Mitarbeiter laufen ständig ins Sekretariat und haben „kurze Fragen“, so dass die Assistentin sich kaum auf die Korrektur der eiligen Präsentationen konzentrieren kann, da sie jedes Mal aus ihrem Gedankenfluss gerissen wird. Als „Sahnehäubchen“ zu dem bereits bestehenden Chaos platzt häufig ein Kollege ins Büro mit der Bitte (je nach Tonfall kann man es auch Forderung nennen), „mal eben“ noch ein eiliges langes Bändchen zu schreiben.

Es gibt Fälle von Sekretärinnen, die praktisch 24 Stunden am Tag für den Chef (und die Mitarbeiter) erreichbar sein müssen. Selbst eine ungestörte Mittagspause mit Kollegen oder die Teilnahme an einem externen Seminar ist nicht ohne telefonische Störungen möglich, da die Mitarbeiter scheinbar nicht ohne die Präsenz ihrer Assistentin selbstständig und effektiv agieren können.

Gründe für Frustration

Diese Situationen sind vielen Frauen aus dem Arbeitsleben vertraut. Auch wenn sie aufgrund von Arbeitsüberlastung, häufig in Verbindung mit mangelnder Anerkennung durch Vorgesetzte und Kollegen, stark frustriert sind bis hin zum Burn-Out, trauen sich viele Arbeitnehmerinnen nicht, mal eine Aufgabe abzulehnen oder höflich darum zu bitten, etwas an eine Kollegin mit freien Kapazitäten weiterzugeben.

Die Angst vor dem Nein sagen resultiert aus verschiedenen Gründen. Durch die geforderte ständige Erreichbarkeit vermittelt der Vorgesetzte ihnen zwar zum einen das Gefühl, unersetzbar zu sein, so dass die Mitarbeiterin unter Umständen ein schlechtes Gewissen hat, wenn sie eine Aufgabe berechtigt ablehnt. Zum anderen führt die häufig verwendete unterschwellige Drohung, dass jeder Mitarbeiter bei der heutigen Arbeitsmarktlage ersetzbar sei, da viele Arbeitslose nur darauf lauern, eine frei werdende Stelle zu besetzen, zu weiterer Verunsicherung. So entsteht das Gefühl, dass sich die Unersetzbarkeit gar nicht auf die Person an sich bezieht, sondern ausschließlich auf die Funktion der Betreffenden. Aus Angst vor der Kündigung stecken viele Frauen dann zurück, spüren aber in der Folge auch gleichzeitig den immer mehr schwindenden Respekt, der ihnen von Vorgesetzten entgegengebracht wird. Die Konsequenz aus mangelnder Abgrenzung ist meist noch, dass immer mehr von der jeweiligen Mitarbeiterin verlangt wird – bis hin zum Zusammenbruch. Bemerkenswerterweise ist in solchen Fällen das Phänomen zu beobachten, dass eben jene „fleißigen, unersetzbaren Bienchen“ mit Spott und Häme überzogen werden, wenn sie wirklich an einem Burn-Out erkranken. Dann wird die Belastbarkeit der Kollegin häufig in Zweifel gezogen, ungeachtet der Tatsache, dass die Erkrankung u. a. auf die von ihnen herbeigeführten Arbeitsumstände zurückzuführen ist.

Die nächste Frustration ergibt sich, wenn die betreffende Mitarbeiterin feststellen muss, dass ihre Kollegen besser bezahlt und/oder besser gelitten bei Vorgesetzten sind, obwohl sie nicht einmal annährend über die gleiche Leistungsbereitschaft und Fachkompetenz verfügen. Während von ihr erwartet wird, sich schnellstmöglich in noch unbekannte Zusammenhänge, PC-Programme und Abläufe einzuarbeiten, ist es bei ihren Kolleginnen absolut toleriert, wenn diese sich nicht um den Ausgleich ihrer fachlichen Schwächen oder um Aneignung neuer Kenntnisse bemühen, sondern sich ohne weitere Diskussion auf das Argument „Das kann ich doch nicht!“ zurückziehen können.

Hinzu kommen vielfach Vergleiche von Vorgesetzten mit (früheren) Mitarbeiterinnen, bei denen angeblich „alles viel schneller ging“.

Mögliche Strategien zur Abgrenzung

Jeder Mensch geht nur bis zu der Grenze, die ihm gesetzt wird. Aus diesem Grunde sollte die betreffende Mitarbeiterin von Anfang an deutlich machen, dass sie gerne zu Mehrarbeit und Sonderaufgaben bereit ist, aber auch einmal einen Auftrag freundlich, aber bestimmt ablehnen mit dem Hinweis auf ein ohnehin hohes Arbeitsaufkommen. Dabei sollte sie sich nicht von langen Gesichtern oder genervten Bemerkungen von Mitarbeitern abschrecken lassen. Auch wenn die Rückmeldung im ersten Moment negativ erscheint, so baut sie sich damit langsam aber stetig ein gesundes Maß an Respekt auf, so dass sich bei darauffolgenden ähnlichen Situationen die Akzeptanz gegenüber der Ablehnung eines Arbeitsauftrages steigert. Das gilt analog für die 24-stündige Erreichbarkeit, für die es keine sachliche Grundlage gibt. Die Mitarbeiterin wurde zur Entlastung des Chefs und der Mitarbeiter – also als Assistenz – eingestellt, wobei dies jedoch nicht bedeutet, dass jedermann ihr zu jeder Tageszeit alle ungeliebten Aufgaben übertragen kann. In der Regel sollten fachliche Mitarbeiter bis hin zum Chef in der Lage sein, alleine einen Kopierer mit Papier zu befüllen oder einen Toner im Drucker auszuwechseln; von fachlichen Aufgaben ganz zu schweigen.

Fallen unsachliche Bemerkungen wie „Das ging bei Ihrer Vorgängerin aber alles viel schneller!“, sollte die Mitarbeiterin nachfragen, bis wann der betreffende Auftrag erledigt sein muss und sich dann zeitnah darum kümmern. Auch hier geht es um die höfliche, aber bestimmte Bitte, eilige Aufträge auch als solche kommuniziert zu bekommen (sofern es sich nicht aus der Tätigkeit an sich ergibt). Es macht wenig Sinn, über solche kindischen Bemerkungen des Chefs bzw. der Mitarbeiter zu diskutieren. Entwaffnend wirkt in vielen Fällen auch die Gegenfrage „Möchten Sie, dass die Arbeit einfach nur schnell oder auch fehlerfrei erledigt wird?“.

Abgrenzung als Sicherstellung seelischer und körperlicher Gesundheit

Nimmt jemand sich in Auseinandersetzungen, Wettbewerbssituationen oder im Arbeitsleben ständig als Verlierer wahr, weil die eigenen Wünsche und Ansprüche nicht oder nur schlecht durchgesetzt werden können, führt dies unweigerlich zu den vorbeschriebenen Frustrationen. Im Gegensatz dazu trägt es zum seelischen Wohlbefinden bei, wenn man berechtigte Ansprüche geltend macht oder zumindest einen Kompromiss im Sinne einer Win-Win-Situation (also keinen faulen Kompromiss, von dem wieder ausschließlich die Gegenseite profitiert) mit dem Gesprächspartner erzielt. Dadurch können ständige Frustrationen mit weitreichenden Konsequenzen vermieden werden.