Einführung in das kognitionswissenschaftliche Paradigma der Psychologie: Definition, Forschungsgegenstand und grundlegende Konzepte.
Bis etwa zum Jahr 1950 beherrschte der antimentalistische Behaviorismus das psychologische Denken und Forschen. In den fünfziger Jahren konnte der radikal-behavioristische S-R-Ansatz aber für immer mehr psychische Erscheinungen keine hinreichende Erklärung mehr bieten. Ein Beispiel hierfür sind Kinder, die ihre Muttersprache lernen. Sie reproduzieren nämlich nicht nur Sätze, sondern sie lernen aktiv, indem sie nach Regelmäßigkeiten und Konzepten der Sprache suchen. Auch Albert Bandura behauptet von seinem „Bobo-doll-Experiment“, dass dessen Ergebnisse nicht mehr mit behavioristischen Theorien erklärt werden können.
Historischer Hintergrund und einige Pioniere
Durch die daraus resultierende Erkenntnis, dass interne mentale Prozesse als Untersuchungsgegenstand nicht vollkommen ausgeblendet werden können, wurde die sogenannte kognitive Wende eingeleitet. Deren Höhepunkt war das Jahr 1956: am MIT fand das „Symposium on Information Theory“ statt, an dem sich Allen Newell, Herbert Simon, Marvin Minsky und Noam Chomsky beteiligten. Weitere Wegbereiter waren Alan Turing und George Kelly. Kelly entwickelte eine kognitive Persönlichkeitstheorie, in der er annahm, dass das Verhalten einer Person davon abhängt, wie sie ihre individuelle Vorstellung der Realität konstruiert. Turing entwickelte den Turing-Test um festzustellen, ob eine Maschine ein dem Menschen gleichwertiges Denkvermögen hat.
Kognition, Kognitionswissenschaft und beteiligte Disziplinen
So entstand die interdisziplinäre (fächerübergreifende) Kognitionswissenschaft und mit ihr das kognitionswissenschaftliche Paradigma der Psychologie. Der Begriff Kognition bezeichnet ganz allgemein die Gesamtheit der informationsverarbeitenden Prozesse und Strukturen eines beliebigen intelligenten Systems. In der Psychologie ist Kognition der Sammelbegriff für alle mentalen Prozesse des Menschen. Abgesehen von der Psychologie beteiligen sich an der Kognitionswissenschaft auch die
- Philosophie
- Informatik (Künstliche Intelligenz)
- Kognitive Anthropologie
- Linguistik
- Neurowissenschaften
Zusammen werden diese Disziplinen auch das kognitive Sechseck genannt. Gemeinsame Hauptfragestellungen beziehungsweise Forschungsgegenstände sind unter anderem:
- Wie funktioniert der Geist?
- Wie funktioniert der Wissenserwerb und die Wissensnutzung?
- Studium mentaler Repräsentationen
- Erforschung intelligenter Leistungen und Prozesse mit dem Ziel einer allgemeinen Theorie der Intelligenz (natürliche und künstliche Intelligenz)
Seit 1977 erscheint die Fachzeitschrift „Cognitive Science“.
Das kognitionswissenschaftliche Paradigma der Psychologie
Die kognitive Psychologie ist die Wissenschaft der menschlichen Informationsverarbeitung. Dabei wird eher untersucht, wie Informationen verarbeitet werden und weniger warum. Im Gegensatz zum Behaviorismus stehen in der kognitiven Psychologie gerade die internen Prozesse im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Es geht um grundlegende kognitive Funktionen wie Wahrnehmen, Erkennen, Gedächtnis, Aufmerksamkeit, aber auch um Lernen, Denken oder Sprache. Diese Prozesse werden insbesondere in der Allgemeinen Psychologie untersucht, das kognitionswissenschaftliche Paradigma hat aber auch die Forschung in anderen psychologischen Teildisziplinen beeinflusst.
CRUM und einige grundlegende Konzepte
Einen besonderen Einfluss auf die kognitive Psychologie hatte die Informatik. Eine Fülle von Begriffen und Konzepten der Computerwissenschaften wurde in psychologische Theorien aufgenommen. Der Mensch wird in Analogie zum Computer als informationsverarbeitendes System verstanden, das Input selektiv enkodiert, intern repräsentiert, verarbeitet und einen bestimmten Output produziert. Das Gehirn ist die Hardware und der menschliche Geist die Software. Denken ist demnach mit einem gerade aktiven Computerprogramm vergleichbar, in dem Algorithmen auf Datenstrukturen angewendet werden. Den Datenstrukturen, auf die ein Computerprogramm zugreift, entsprechen beim Denken mentale Repräsentationen; den Algorithmen entsprechen bestimmte Verarbeitungsprozesse. Das ist die allgemeinste und grundlegendste Hypothese der Kognitionswissenschaft: CRUM (Computational-Representional Understanding of Mind). Es stellt eine komplexe drei-Wege-Analogie zwischen Geist, Gehirn und Computer dar.
Ein zentrales theoretisches Konstrukt zur Repräsentation von Wissen ist das Schema-Konzept. Schemata steuern die Wahrnehmung und Informationsverarbeitung des Menschen. Es handelt sich dabei um Wissensstrukturen, die auf Erfahrungen basieren und typische Zusammenhänge eines Realitätsbereichs repräsentieren. Schemata besitzen „Leerstellen“ (Kategorien) die mit Default-Werte besetzt sind. Wenn eine Information nicht in das Schema passt, können die Default-Werte entsprechend angepasst beziehungsweise ersetzt werden. Schemata werden durch passende Stimuli aktiviert, nachfolgende Informationen werden dann vor dem Hintergrund der gerade aktiven Schemata interpretiert und ergänzt.
Die aktuelle Verarbeitung von Informationen lässt sich insgesamt als ein Ineinandergreifen von zwei Prozessen rekonstruieren: die eben beschriebene, schemagesteuerte Informationsverarbeitung wird als top-down processing bezeichnet, von bottom-up processing spricht man bei einer reiz- beziehungsweise datengesteuerten Informationsverarbeitung. Basale Sinneseindrücke, zum Beispiel visuelle und akustische Reize, werden unterschieden (bottom-up) und es wird ein passendes Schema aktiviert, das dann die weitere Verarbeitung der Informationen steuert (top-down).
Symbolorientierte und konnektionistische Modelle
Es gibt zwei grundsätzliche Perspektiven zur Art der Repäsentationen: symbolorientiert und konnektionistisch. Konnektionistische Ansätze möchten das menschliche Gehirn möglichst präzise nachbilden. Die symbolischen Ansätze nähern sich den Intelligenzleistungen von einer begrifflichen Ebene her. In symbolorientierten Modellen werden Informationen durch Symbole und Symbolstrukturen (zum Beispiel Wörter und Sätze) repräsentiert. Zu ihnen zählt auch die oben beschriebene schemagesteuerte Informationsverabeitung.
Der Konnektionismus arbeitet mit auf Strukturen des Gehirns bezogenen parallelen Prozessen, mit sogenannten neuronalen Netzwerken. Unter konnektionistischen Systemen versteht man Systeme, die auf Wechselwirkungen vieler simpler Einheiten basieren. Die Einheiten sind dabei miteinander verbunden und kommunizieren untereinander. Bei einem solchen System haben die Einheiten/Knoten einen bestimmten Aktivierungsgrad. So können die miteinander verbundenen Knoten sich untereinander hemmen oder erregen. Aktuelle Informationen werden als bestimmte Aktivierungsmuster von Knoten dieses Netzwerks verstanden.
Kognitive Modellierung und Architekturen
Kognitive Modellierung ist der Versuch natürliche Intelligenz durch die Konstruktion künstlicher Systeme zu erklären, die sich ähnlich verhalten wie die natürlichen Systeme. Beispiele für kognitive Architekturen sind SOAR, 3CAPS, EPIC, ACT-R oder PSI. PSI ist eine psychologische Theorie als Computerprogramm. Dabei geht es um die Modellierung von Hypothesen über die Interaktion von Kognition, Emotion und Motivation. Zu diesem Zweck wurde ein Gesamttheorie eines lebenden Wesens entwickelt (Bauplan für eine Seele) und in ein Computerprogramm umgesetzt. Es wird das Erleben und Handeln in komplexen Systemen nachempfunden und ein Vergleich zwischen simulierten Versuchspersonen und realen Versuchspersonen gezogen. PSI ist eine beseelte Dampfmaschine.