Einschneidende Erlebnisse können sich in den Genen, die wir an unsere Kinder vererben, niederschlagen und bestimmte Krankheitsrisiken sowie Verhaltensmuster verursachen. Gene reagieren auf Einflüsse von außen und können von diesen in ihrer Aktivität teilweise dauerhaft verändert werden. So lautet die zentrale Aussage der Epigenetik. Ganz diesem Lehrsatz folgend hat sich die noch recht junge Forschungsrichtung zur Aufgabe gemacht, die Zusammenhänge zwischen äußeren Einflüssen und den Auswirkungen auf das genetische Material zu untersuchen und wie sich diese in den folgenden Generationen fortsetzen.
Traumatische Erlebnisse wirken sich auf Kinder und Kindeskinder aus
Kriege, Seuchen und Hungersnöte sowie andere Katastrophen und außergewöhnliche Ereignisse sind traumatische Erfahrungen, die sich erheblich im Erbgut niederschlagen können. Untersuchungen an Menschen, die während des Zweiten Weltkrieges Hunger leiden mussten beziehungsweise dauerhafte Mangelernährung betrieben haben, zeigen, wie sehr sich das Erlebte auf folgende Generationen auswirken kann. Denn überdurchschnittlich viele Kinder der Nachkriegsgeneration litten unter verschiedenen Stoffwechselkrankheiten, vor allem an Diabetes. Es ist erwiesen, dass ihre Eltern während des Krieges unter erheblichen Nahrungsmangel zu leiden hatten. Die Krankheiten, die deren Kinder und auch die folgenden Generationen ausbildeten, sind eine Folge der Anpassung des genetischen Materials. Ziel dieser Anpassungen war es, ein Maximum an Energie aus einem Minimum an Nahrung zu gewinnen – eine optimale Ausrüstung, um bei weiteren Hungersnöten zu überleben. Aber sie mussten keinen weiteren Hunger leiden, sondern es traf eher das Gegenteil zu – ein Überangebot an Nahrung. Die Stoffwechselstörungen sind das Ergebnis dieser Situation.
Methylgruppen verändern die genetische Ausprägung
Eines sollte noch erwähnt werden. Die Umwelteinflüsse wirken sich nicht direkt auf unsere DNS – die Desoxyribonukleinsäure in der markanten Doppelhelix strukturiert – aus. Die Trägerin der Erbinformationen bleibt unverändert. Es ist die Art, wie die Informationen abgelesen und bei der Molekülsynthese übersetzt werden, die die neuen Variationen hervorrufen. Der entscheidende Faktor sind die sogenannten Methygruppen, die an Gene angehängt oder entfernt werden. Ihre Funktion ist die eines An- respektive Ausschalters, denn dort wo sie andocken, kann ein Gen nicht mehr abgelesen werden. Es hat keinen Einfluss mehr auf die genetische Ausprägung des Nachwuchses.
Ein evolutionärer Mechanismus
Evolutionär betrachtet kommt diesem Mechanismus eine enorme Bedeutung zu, hilft die chemische Markierung der Erbsubstanz doch dem Körper, sich auf Sonderfälle und außergewöhnliche Situationen einzustellen und für mögliche Wiederholungen gerüstet zu sein. In der modernen Welt der menschlichen Gesellschaft, die weitestgehend unabhängig von ihrer ursprünglichen Umwelt geworden ist, scheint diese kurzfristige Neuprägung dagegen eher hinderlich zu sein. Ernähren wir uns beispielsweise ungesund, schaden wir uns nicht nur selbst, sondern auch unseren Kindern und deren Kindern. Wir sollten nicht nur in unserem Interesse handeln. Viel mehr im Interesse künftiger Generationen.