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Depressionen: Irrtümer, Missverständnisse und Fehlannahmen

Immer mehr Deutsche erkranken an Depressionen, Ursache: die Arbeit. Aber stimmt das auch? Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe klärt auf.

Es klingt immer so einleuchtend: Die Welt dreht sich schneller, überall ist Hetze und Stress – also werden immer mehr Menschen depressiv. Der Beweis sind Statistiken über steigende Fehlzeiten von Arbeitnehmern, zunehmende Frühberentungen und gestiegene Behandlungszahlen aufgrund psychischer Erkrankungen. Aber so einfach, wie es sich auf den ersten Blick darstellt, ist es nicht mit der Depression. Im August 2012 veröffentlichte die Stiftung Deutsche Depressionshilfe die neun häufigsten Fehlannahmen, Missverständnisse und Irrtümer über eine ernst zu nehmende Krankheit.

Depressionen nehmen zu

Immer mehr Ärzte und Therapeuten aller Richtungen erkennen mittlerweile Depressionen und diagnostizieren diese auch schneller. Frühere Ausweichdiagnosen wie chronischer Rückenschmerz, Fibromyalgie und ähnliche werden entsprechend weniger vergeben – die momentan gängige Ausweichdiagnose ist das Burnout. Dass deshalb die Depression immer öffentlicher wird, ist für Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Leipzig und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, eher ein gutes Zeichen. Denn je klarer das Problem beim Namen genannt wird, um so größer ist die Chance für die Betroffenen, adäquat und vor allem schnell behandelt zu werden.

Die Stiftung stützt sich in der Annahme, dass Depressionen nicht zunehmen, auf die Suizidstatistik. Depressive Menschen, besonders chronisch und schwer Erkrankte, sehen überproportional häufig keinen Ausweg aus ihrem Leiden und nehmen sich das Leben. Bei zunehmenden Erkrankungszahlen würde das bedeuten, dass auch die Anzahl der Suizide in Deutschland steigt. Aber dem ist nicht so. Setzten Anfang der 80er Jahre noch ungefähr 18.000 Menschen im Jahr ihrem Leben ein Ende, sind es derzeit ungefähr 10.000 – eine drastische Reduzierung und ein großer Erfolg. Und auch ein Zeichen dafür, dass Menschen, die Hilfe suchen, mittlerweile offenbar auf hilfreiche Angebote stoßen.

Die heutigen Arbeitsbedingungen lösen Depressionen aus, Ausruhen hilft dagegen

Dass viele Menschen sich heutzutage von ihren Arbeitsabläufen gestresst fühlen, ist eine Tatsache, für die dringend Lösungen gefunden werden müssen. Ob es aber einen Zusammenhang zur Depression gibt, ist eine ganz andere Sache. Typischerweise geht einer Depression nicht zwingend eine überfordernde Situation voraus. Es ist auch nicht so, dass mehr Berufstätige von der Krankheit betroffen sind als Menschen außerhalb solcher Strukturen. Ganz im Gegenteil. Depressiv erkrankte Menschen profitieren eher von festen Tagesstrukturen, wie eine Arbeit sie bietet. Ein übermäßiges Ausruhen oder Urlaub hilft nur Menschen, die mal eine Pause brauchen. Depressive sollten dagegen eher nicht zu viel freie Zeit ohne Aufgaben haben, denn das erhöht die Chance aufs depresionsverstärkendes Grübeln. Auch Schlaf hilft eher nicht. Besonders im stationären Rahmen werden beeindruckende Zustandsverbesserungen mit Schlafentzug erreicht. Die Betroffenen werden dabei eine Nacht wach gehalten, meist in der Gruppe, und dürfen erst am folgenden Tag zur gewohnten Zeit ihre Nachtruhe antreten. Allein diese einfache Maßnahme verbessert das Befinden von etwa 60 Prozent der Depressiven. Und auch wenn das Hoch nur vorübergehend ist, ist es eine gute Möglichkeit, Hoffnung zu schöpfen, was bei einer schweren Depression immer hlfreich ist. Bislang ist wissenschaftlich nicht belegt, ob die empfundene Hetze des Berufslebens Depressionen auslöst oder nicht, der Umkehrschluss funktioniert allerdings nicht.

Traurig fühlt sich jeder mal, also kennen alle eine Depression

Es liegt nahe, Zustände von Traurigkeit oder schlechter Stimmung als Depression zu bezeichnen, zumindest für den Laien. Für den Fachmenschen stellt sich das aber anders dar. Eine schwere Depression hat nichts damit zu tun, dass den Betroffenen nur der Biss fehlt, sich aufzuraffen und die Dinge anzupacken. Gestörte Funktionsabläufe im Gehirn sorgen dafür, dass scheinbar normale Tätigkeiten und Denkabläufe nicht mehr funktionieren. Und das die Erkrankung prägende Gefühl der Gefühllosigkeit bedeutet, in keiner Richtung mehr Gefühle wahrzunehmen, weder positiv noch negativ. Mit Sicherheit ein Zustand, den Menschen mit schlechter Stimmung so nicht kennen.

Medikamentös sind oft Antidepressiva hilfreich, auch wenn es schwierig ist, das richtige Präparat in der richtigen Dosierung zu finden. Der Glauben, dass diese Medikamente abhängig machen, ist aber ebenfalls falsch. Sie haben Nebenwirkungen, teilweise auch starke, aber kein Abhängigkeitspotential, im Gegensatz zu Beruhigungs- und Schlafmitteln. Diese werden von Laien zwar oft in einen Topf geworfen, haben dort aber nichts zu suchen. Die pharmakologische Wirkungsweise unterscheidet sich erheblich, entsprechend auch die Auswirkungen auf den Körper. Ein weiteres Vorurteil besagt, dass Antidepressiva die Persönlichkeit verändern. Anders herum erhält man die Lösung: Eine Depression verändert die Persönlichkeit, meistens sogar sehr stark. Wirken die Antidepressiva, kehren die meisten Betroffenen zur alten Persönlichkeit zurück.

Wer körperlich krank ist, wird auch depressiv

Da Depressive jede Empfindung als Missempfindung auffassen – ein Depressionsmechanismus – erscheinen körperliche Beeinträchtigungen im Lichte der depressiven Hoffnungslosigkeit und bringen deshalb ein hohes Leidenspotential mit. Probleme wie Rückenschmerzen, Tinnitus oder Kopfschmerzen werden als unerträglich empfunden und nicht mehr als das gesehen, was sie sind – ein Teil des Lebens: keiner schöner, aber nicht zwingend dramatisch. Die erfolgreiche Behandlung einer Depression lässt die körperlichen Symptome nicht verschwinden, ermöglicht den Betroffenen aber, sie adäquat einzuordnen und damit zu leben.

Gerade weil Depressive die Welt als so hoffnungslos empfinden, nehmen sich viele das Leben. Tragisch daran ist, dass die scheinbare Ausweglosigkeit, die die Erkrankung mit sich bringt, schon wenige Tage nach einer erfolgreichen Behandlung verschwindet und damit auch der Grund für die Selbsttötung. Es handelt sich hier also meist nicht um die autonome Entscheidung über das eigene Lebensende, sondern um eine Tat vor dem Hintergrund einer nicht optimal behandelten psychischen Erkrankung.

Eine Depression ist eine ernst zu nehmende Krankheit, die dringend medizinischer Betreuung bedarf. Vorschnelle Schlüsse über die Ursachen und unzulässige Verknüpfungen mit gesellschaftlichen Entwicklungen der heutigen Zeit sind dabei nicht hilfreich. Ein kompetenter Ansprechpartner für Betroffene, Partner und Interessierte ist die Stiftung Deutsche Depressionshilfe.