Nach einem speziellen Anti-Gewalt-Unterricht begegnen Schüler jugendlichen Gewalttätern im schulischen Umfeld mit dem Konzept der Mediation.
Das Konzept der Demokratiepädagogik verbindet pädagogische Maßnahmen, mit denen die Schülerinnen und Schüler lernen, an Demokratie als Lebensform teilzuhaben und diese im alltäglichen Zusammenleben auch aktiv selbst zu gestalten. Ziel ist es, zu erreichen, dass sich die Jugendlichen für eine demokratische Gesellschaftsform engagieren, zunächst in ihrem direkten Umfeld – der Familie, der Peergroup und der Schule – und später vielleicht einmal in der Gesamtgesellschaft allgemein. Die Schülerinnen und Schüler lernen also, Demokratie „durch Partizipation und Mitwirkung in lokalen und globalen Kontexten mitzugestalten“ und erwerben so die Kompetenz, „Demokratie als Regierungsform durch aufgeklärte Urteilsbildung und Entscheidungsfindung zu bewahren und weiter zu entwickeln“ (Edelstein). Daher sind die erzieherischen Behandlungsmaßnahmen der Demokratiepädagogik nicht nur ein wirksames Mittel im Kampf gegen jugendliche Gewalt an Schulen, sondern bilden und fördern die Schülerinnen und Schüler auch noch nachhaltig für ihr späteres Leben.
Zur Definition von Konflikt innerhalb der Demokratiepädagogik
Grundgedanke der Mediation ist, dass Konflikte unvermeidbar sind und schlichtweg zum Leben gehören. Diese Erfahrung ist für Kinder und Jugendliche und sicher auch manchmal noch für Erwachsene schwierig und schmerzhaft, aber muss bewältigt werden. Ziel der Mediation ist es daher, Konflikte künftig konstruktiv für die Weiterentwicklung der Gemeinschaft zu nutzen. Sich also über die verletzenden Aspekte hinweg auf die sich im Konflikt verbergenden Chancen und Möglichkeiten zu konzentrieren. Dabei geht die Theorie laut Edelstein von neun Stufen der Konflikteskalation aus.
- Verhärtung
- Debatte
- Taten
- Images und Koalitionen
- Gesichtsverlust
- Drohstrategien
- begrenzte Vernichtungsschläge
- Zersplitterung
- Gemeinsam in den Abgrund .
Wobei sich die Stufen eins bis drei noch als win-win-Situation bezeichnen lassen, die sich in Stufe vier bis sechs zur win-lose-Situation verhärtet und letztlich in Stufe sieben bis neun mit Verlusten auf beiden Seiten (lose-lose-Situation) eskaliert. Außerdem unterscheidet Edelstein fünf Ebenen auf denen sich Konflikte abspielen können.
- Informations- oder Sachverhaltskonflikte (fehlende oder fehlerhafte Vermittlung von Informationen, dadurch falsche Einschätzung von Sachverhalten)
- Interessenkonflikte (unterschiedliche Interessen)
- Beziehungskonflikte (versteckte Bedürfnisse und Interesse in engen, emotionalen Beziehungen mit mangelnder Kommunikation)
- Strukturkonflikte (strukturelle Ungleichheit der Machtverteilung)
- Wertekonflikte (grundsätzliche, verinnerlichte und daher unverrückbare beziehungsweise nicht verhandelbare Überzeugungen und Philosophien, diese Konflikte sind somit nicht lösbar und nur durch Kompromisse oder Auslagerung zu schlichten)
All diese verschiedenen Konflikte können sich offen (heiß) oder verdeckt (kalt) abspielen, wobei die unauffälligen bei Weitem gefährlicher sind, da sie sich unbemerkt über einen langen Zeitraum hinziehen und bis zur Eskalation steigern können.
Das Konzept der Mediation
Um schulische Konfliktsituationen gewinnbringend aufzulösen, werden Lehrer und später auch erfahrene Schülerinnen und Schüler zu Coaches (Mediatoren) ausgebildet, die mit den beteiligten Schülerinnen und Schülern zeitnah ein Schlichtungsgespräch führen. Dieses wird als Mediation bezeichnet, was so viel wie „Vermittlung“ bedeutet. „Mediation ist ein Verfahren der konstruktiven Konfliktbearbeitung, bei der eine dritte, überparteiliche Person (oder Personen) zwischen den Konfliktparteien vermittelt. Grundsätze sind dabei eine nicht wertende (!), überparteiliche Haltung und der Verzicht auf Lösungsvorschläge seitens der Mediatoren“ (Edelstein). Dieses Gruppengespräch gliedert sich in fünf Phasen:
- Klärung der Rahmenbedingungen
- Konfliktdarstellung
- Konflikterhellung
- Lösungsoptionen
- Vereinbarungen
Man erkennt schon an dieser Stelle, dass es sich bei der Mediation nicht um eine schnelle Problembeseitigung handelt. Dies ist auch keineswegs das Ziel. Stattdessen ist es die Philosophie des Konzepts, sich die Zeit zu nehmen, die Ursachen von Konflikten aufzudecken und dauerhaft zu beseitigen. Nur so kann der hergestellte Frieden auch von Dauer sein, was den Zeitaufwand relativiert, da die Mediation somit zugleich auch als präventive Maßnahme gesehen werden kann. Die beteiligten Personen des Konflikts nehmen aktiv an dessen Lösung teil, anstatt dass man schnell über ihren Kopf hinweg entscheidet beziehungsweise richtet und sie verurteilt und mit ihrer Schuld konfrontiert. Bildlich gesprochen nimmt man der Konfliktsituation den “Wind aus den Segeln“ und vermeidet undurchdachte “Kurzschlussreaktionen“, indem man den sich schnell automatisierenden Prozess bewusst entschleunigt. Hierin liegt auch die besondere Schwere der Aufgabe der Coaches und ihre große Verantwortung, denn sie müssen sich in dem längeren Prozess über die natürliche Neigung des Menschen, Position zu beziehen und sich mit jemanden zu identifizieren, hinwegsetzen und neutrale und damit objektive Beobachter und Vermittler bleiben.
Positive Folgen der Mediation
Die Schülerinnern und Schülern fördern auf diese Art ihre Selbst- und Sozialkompetenz, indem sie eigene, natürliche Reaktionen im Falle einer Notwendigkeit zu zügeln beziehungsweise angemessen äußern lernen und sich verstärkt auf die Emotionen ihres Gegenübers konzentrieren. Durch die besondere Gesprächstechnik erfahren die Jugendlichen zudem noch eine Erweiterung ihrer Methodenkompetenz. Aktives Zuhören, welches sich durch Zusammenfassungen, Spiegelungen und das Zurückhalten von Lösungsangeboten auszeichnet, ist eine Sozialkompetenz von wachsender Bedeutung im zeitgenössischen Privat- und Berufsleben. Die mediative Fragetechnik erfragt nach einander Bedeutung, Verständnis erweiterte Sichtweisen und Lösungsmöglichkeiten von Konflikten und schult so die Fähigkeit der Jugendlichen, Gespräche mit Hilfe von gezielten Fragestellungen dezent zu steuern. Außerdem lernen die Schülerinnen und Schüler neben der Mediation auch zahlreiche Empathie fördernde Übungen kennen.
Selbstständig Konflikte lösen und Verantwortung übernehmen
Außerdem sind die Jugendlichen in diesem Konzept im Gegensatz zur konfrontativen Pädagogik selbstständig tätig. Sie lernen, zu bewerten und zu analysieren, zu vermitteln und zu entscheiden, und sind somit stets selbst handlungsfähig. Das ist förderlich für ihre persönliche Entwicklung, aber auch für die Lehrer-Schülerbeziehung und das Schulklima im Ganzen. Die Schülerinnen und Schüler müssen sich nicht gegen unflexible Grenzen einer geschlossenen Front zur Wehr setzen und gegen eine überkommene Machtstruktur behaupten, sondern kooperieren mit den Lehrkräften als Team. Das heißt natürlich nicht, dass eine völlige Gleichberechtigung besteht. Selbstverständlich existieren für die Jugendlichen auch in diesem pädagogischen Konzept Regeln und Grenzen, deren Überschreitung Konsequenzen hat. Die Befolgung und Achtung selbiger ist allerdings deutlich leichter und wahrscheinlicher, wenn die Jugendlichen wie in diesem Konzept an ihrer Erstellung beteiligt sind, da so kein Gefühl der Machtlosigkeit oder Wahllosigkeit entstehen kann. Stattdessen fühlen sich die Schülerinnen und Schüler durch die aktive Teilhabe ernst genommen und akzeptiert, sehen sich durch die Regeln weniger bevormundet und in der Entfaltung ihrer Persönlichkeit begrenzt und werden zugleich auch noch effektiv auf das Erwachsenenleben vorbereitet.