Mit Dichloressigsäure wird sonst eine Stoffwechselstörung behandelt. Ein einfaches, preiswertes Mittel scheint die Lösung bei verschiedenen Krebsarten zu sein. Doch bislang fehlen die Studien, um DCA als Krebsmittel zu etablieren.
Kanadischen Forschern ist es gelungen, Krebszellen aus drei verschiedenen Geweben mit einem Wirkstoff abzutöten, der bereits für andere Therapien eingesetzt wird: DCA. Doch ob sie damit ein Wundermittel gegen Krebs entdeckt haben, bleibt abzuwarten.
Seit Jahrzehnten wird der Wirkstoff Dichlorazetat (DCA oder Dichloressigsäure) zur Behandlung von Stoffwechselstörungen eingesetzt, die zu einer übermäßigen Produktion von Milchsäure (Laktat) und damit zu einer Übersäuerung des Blutes führen, der sogenannten Laktat-Azidose. Evangelos Michelakis von der Universität Alberta und seine Kollegen haben 2007 menschliche Krebszellen aus der Lunge, der Brust und dem Gehirn mit diesem kleinen Molekül behandelt. Die Krebszellen – egal von welcher Tumorart – vermehrten sich nicht mehr ungehemmt und aktivierten stattdessen ihr Selbstmordprogramm (Apoptose). In weiteren Versuchen schrumpften auf Ratten transplantierte Tumore aus menschlichen Krebszellen, wenn die Tiere DCA mit dem Trinkwasser bekamen. Da der Wirkstoff dabei in Konzentrationen eingesetzt wurde, wie sie in der Therapie von Laktat-Azidose üblich sind, könnte man sofort mit Versuchen an menschlichen Krebspatienten beginnen.
Der Warburg-Effekt
Bislang war es in der Krebsmedizin üblich, maßgeschneiderte Therapien für die unterschiedlichsten Tumorarten zu entwickeln, da sie sich in ihrem genetischen Profil mitunter stark unterscheiden. Es wäre höchst erstaunlich, wenn eine so preiswerte Substanz wie DCA eine universelle Krebstherapie wäre. Allerdings würde das den Warburg-Effekt bestätigen.
Otto Warburg (1882-1970), ein 1931 mit dem Nobelpreis geehrter Biochemiker, hatte schon in den 1920er Jahren die Beobachtung gemacht, dass Krebszellen einen ganz eigenen Stoffwechsel haben: Während gesunde Zellen den ihnen zur Verfügung stehenden Zucker unter Verbrauch von Sauerstoff bei der sogenannten Zellatmung vollständig zu Kohlendioxid (CO2) verbrennen, gewinnen Tumorzellen Energie, indem sie den Zucker zu Milchsäure vergären, und zwar auch dann, wenn genügend Sauerstoff zur Verfügung steht.
Diese Eigenschaft – nach ihrem Entdecker „Warburg- Effekt“ getauft – ist seit langem wissenschaftlich anerkannt. Es wurde sogar wiederholt gezeigt, dass ein Krebs sich umso aggressiver ausbreitet, je stärker ausgeprägt der Warburg-Effekt ist. Der Stoffwechsel von Tumorzellen ähnelt also dem von Patienten mit Laktat-Azidose. Es war diese Parallele, die Michelakis und seine Kollegen auf den Gedanken brachte, DCA bei Krebszellen zu testen.
Wenn die Zellatmung wieder einsetzt, müssen Krebszellen sterben
Bisher gingen die meisten Experten davon aus, dass das Umschalten der Krebszellen auf Gärung auf einem irreversiblen Defekt der Mitochondrien beruht. Denn Zellatmung findet nur in den Mitochondrien statt, die Gärung dagegen läuft im Zellplasma ab. Deshalb war es für viele höchst überraschend, dass DCA tatsächlich den erhofften Effekt hatte: Der Transport von Zuckerabbauprodukten in die Mitochondrien wurde durch DCA wieder in Gang gesetzt, so dass die Zellatmung wieder einsetzte. Für die Krebszellen hatte das tödliche Konsequenzen, denn die Mitochondrien lösen den programmierten Zelltod der Krebszellen aus.
Bislang hat sich allerdings noch niemand gefunden, der ausführliche Studien zu DCA finanziert. Denn die Substanz ist ja bereits auf dem Markt und damit nicht mehr patentierbar. Unterdessen tauschen Krebskranke im Internet bereits Tipps zur Einnahme von DCA aus. Dabei warnt Michelakis selbst eindringlich auf einer DCA-Internet-Seite vor den Selbstversuchen mit DCA. Zu viele Faktoren seien bislang unerforscht, mögliche Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten unbekannt.