Expertinneninterview über das Leben im Chaos. Dr. Elisabeth Vykoukal, Gruppenpsychoanalytikerin an der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien, erklärt das Messie-Phänomen und spricht über Therapieoptionen.
„Messies“ werden jene Menschen genannt, die ihren Lebensbereich drastisch einschränken, indem sie zum Beispiel ihre Wohnung mit Dingen überfüllen und sich unter Umständen dadurch die Organisation des Alltagslebens extrem erschweren. Die Autorin sprach mit Gruppenpsychoanalytikerin Dr. Elisabeth Vykoukal, verantwortlich für die klinische Arbeit mit Messies an der Sigmund Freud Privat Universität in Wien, über das Krankheitsbild.
Wie erkennt man als Außenstehender, dass ein Mensch ein Messie ist?
Sehr schwer bis gar nicht. Die äußere Erscheinung der Betroffenen ist nicht vernachlässigt. Auffällig mag vielleicht sein, wenn sie nicht besucht werden wollen; oder eventuell, wenn sie ständig zu spät kommen und Termine absagen. Das kann aber natürlich auch andere Gründe haben. Wenn Sie ein gutes Vertrauensverhältnis zu einem Messie haben, könnte es auch sein, dass er von selbst von seinem Problem erzählt. Das Thema ist aber doch sehr Scham besetzt.
Wann ist das eigene Chaos als grenzwertig anzusehen?
Wir haben auf der Internetseite unserer Universität einen Test für nicht bekennende Messies. Eine doch recht aussagekräftige Frage in diesem ist, wie lange man braucht, zusammen zu räumen, um Freunde empfangen zu können. Wenn man als Betroffener bei der Antwort auf diese Frage beginnt, herum zu stottern oder sagt: „Mehr als einen Tag“, könnte das ein Hinweis für das Messie-Phänomen sein.
Stimmt es, dass Betroffene oft auch eine Zwangsstörung haben?
Es gibt Forscher, die überzeugt davon sind, dass Messies eine Zwangsstörung haben. Bei unseren Untersuchungen an der Ambulanz haben wir jedoch herausgefunden: Nicht unbedingt! Manche Betroffene sind auch depressiv bzw. haben ein Suchtproblem. Deshalb sind wir der Ansicht, dass Messies als eigenständiges Störungsbild dokumentiert werden sollten.
Was mit dem Zwang übereinstimmt ist, dass zum Beispiel das Sammeln als etwas wahrgenommen wird, das einen treibt, wo man keine Kontrolle darüber hat. Das kennen wir ja aber von anderen neurotischen Störungen auch! Es werden oft auch destruktive/aggressive Persönlichkeitsanteile mit dem Überfüllen der Wohnung gebändigt und die Libido auf den Umgang mit Dingen verschoben.
Kann der Hausarzt Messies helfen?
In der Regel brauchen die Menschen eine intensive Betreuung, weil große Angst damit verbunden ist, sich von Sachen zu trennen. Der Arzt hat hier in der Regel nicht die Zeit für die nötige Motivation und Hilfe. Er kann aber versuchen, den Patienten zu motivieren, einen Psychotherapeuten oder Hilfs-, zum Beispiel Aufräumdienste, in Anspruch zu nehmen. Der Patient muss freilich auch bereit sein, sich helfen zu lassen!
Wie sieht die optimale Therapie durch Experten aus?
Es gibt nicht DIE optimale Behandlungsmöglichkeit. Mit Verhaltenstherapien hat man ganz gute Erfahrungen gemacht. Aber auch zum Beispiel mit der Psychoanalyse. Nämlich dann vor allem, wenn es in der frühen Kindheit gestörte Beziehungen mit Müttern oder anderen Betreuungspersonen gab oder wenn frühe traumatische Erfahrungen gemacht wurden. Wir konnten zum Beispiel auch aufzeigen, dass das Messie-Verhalten oft dann zu Tage tritt, wenn Trennungs- und Verlusterfahrungen sich wiederholen. Wir sind die einzigen weltweit, die so breit gefächert forschen!