Eine neue Anti-Pilz-Strategie ist die Verwendung von Mikroorganismen. Die Hefe Saccharomyces boulardii scheint nicht nur bei Durchfall zu helfen.
Probiotika sind lebensfähige Mikroorganismen wie Hefen oder Bakterien, die Darmflora und Gesundheit positiv beeinflussen sollen. So führte man schon vor mehr als hundert Jahren die hohen Lebenserwartungen auf dem Balkan auf den Verzehr von Sauermilchprodukten zurück. Der Immunologe Elie Metchnikoff vermutete, dass die Bakterien in den fermentierten Produkten im Darm mit Krankheitserregern wetteifern und so die Abwehr schützen. Der gleiche Mechanismus kann möglicherweise bei der gezielten Zufuhr von Spezial-Hefen zur Verdrängung von Candida-Darmpilzen führen.
Die Entdeckung von Saccharomyces boulardii
Eher anekdotisch als historisch belegbar wird die Entdeckung des Hefestamms beschrieben. So soll der französische Mikrobiologe Henri Boulard 1923 im damaligen Indochina (heute: Vietnam) beobachtet haben, dass die ansässige Bevölkerung nach Ausbruch einer Cholera-Epidemie einen Tee aus Schalen von Litschi- und Mangostanfrüchten trank, um Durchfall zu verhindern. Später stellte er fest, dass die Wirksubstanz nicht im Fruchtextrakt, sondern auf den Schalen angesiedelt war: Hierauf wuchsen hitzeresistente Hefen, die er mit seinem Namen als Saccharomyces boulardii (Sb) benannte. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich ließ er seine Entdeckung als Anti-Durchfallmittel patentieren. 1953 wurde der Stamm erstmals als registriertes pharmazeutisches Präparat vermarktet.
Probiotische Hefe bei Durchfällen erfolgreich
Die probiotische Hefe wird bereits seit Jahren von ganzheitlich denkenden Medizinern und Heilpraktikern bei vor allem durch Bakterien verursachten Durchfallerkrankungen und bei/nach Antibiotikagabe verabreicht. Als positive Wirkungen werden die Verdrängung krankmachender Keime oder die Bildung antimikrobieller Substanzen oder immunstärkende Eigenschaften vermutet. Inzwischen gilt der positive Nutzen von Sb bei Antibiotika-bedingten Durchfallerkrankungen als wissenschaftlich bewiesen. Nebenwirkungen werden kaum beschrieben. Jedoch werden Fungämien, das heißt das Vorkommen von Hefepilzen im Blut, zunehmend auf Intensivstationen beobachtet. Fachleute warnen daher vor einer Probiotikagabe bei AIDS, Autoimmunerkrankungen, Leukämie, nach Organtransplantationen oder schweren Allergien. Hier besteht die Gefahr einer Sepsis, wobei der gesamte Körper von diesen als Schutzkeime verabreichten Mikroorganismen infiziert werden kann.
Verdrängung von potenziell schädlichen Darmpilzen
Bereits 1982 führten französische Mikrobiologen bei keimfrei aufgezogenen Mäusen Versuche zur Keimansiedlung im Darm durch. Wenn der Verdauungstrakt bereits experimentell mit lebenden Sb-Hefen besiedelt war, hatte Candida albicans keine Chance sich auszubreiten. Das Experiment konnte jedoch aktuell nicht bestätigt werden. Ebenfalls in Mäuseversuchen konnte bei oraler Verabreichung von S. boulardii eine Candida-Besiedlung des Darms nicht verhindert werden. Die mit dem Futter verabreichte Candida-Hefe machte sich trotz Konkurrenz der „guten“ Hefe im Verdauungstrakt breit.
Probiotika bilden pilztötende Fettsäuren
Die Hefe Saccharomyces boulardii, neuerdings als Saccharomyces cerevisiae boulardii bezeichnet, um die enge Verwandtschaft mit der Bäckerhefe S. cerevisiae zu dokumentieren, bildet Substanzen, die die Aggressivität (Virulenz) von Candida albicans unterdrückt. Diese Wirkstoffe, die die als gefährlich geltende Ausbildung von fadenförmigen Pilzzellen (Hyphen) verhindert, kennen wir bereits von der Kokosnuss: es sind ebenfalls die Fettsäuren Capron-, Capryl- und Caprinsäure. Insbesondere Caprinsäure verringert auch das gefürchtete Anheften und die Biofilmbildung an Oberflächen wie zum Beispiel Kathetern. Die polnische Arbeitsgruppe um Anna Murzyn belegte im Versuch an isolierten Darmzellen, dass Sb sowohl als lebende Zellen als auch als Zellextrakt ein Anheften von C. albicans an die Zelloberflächen verhinderte und die Immunantwort verminderte. Die Botenstoffe IL-4 und IL-10 wurden vermehrt, IL-1beta vermindert gebildet.
Auch Milchsäurebakterien unterstützen Anti-Candida-Behandlung
Aber nicht nur Hefen, sondern auch Milchsäure-Probiotika, helfen bei der Bekämpfung von Candida-Pilzen im Darm. Bei Pilzbesiedlung wird der Heilungsprozess von Geschwüren und Entzündungen der Magen-Darm-Schleimhaut verzögert. Durch Probiotika-Gabe (Lactobacillus acidophilus) wurde dieser Effekt abgeschwächt und die Dauer der Pilzbesiedlung der Schleimhaut verkürzt. Bei Neugeborenen mit sehr geringem Geburtsgewicht („Frühchen“) reduzierten oral verabreichte L. casei rhamnosus-Unterarten die Häufigkeit und die Intensität des Darm-Besiedlung durch Candida-Spezies.
In einer Übersichtsstudie kommen Schulze und Sonneborn zu dem Schluss, dass die Gabe von Probiotika zum Schutz einer physiologischen Darmflora eine Candida-Besiedlung unterdrücken kann. Auch eine Wirkungsverstärkung von darmwirksamen Anti-Pilz-Medikamenten wie Nystatin wird als gerechtfertigt angesehen.
Saccharomyces boulardii-Präparate sind apothekenpflichtig
Als Einzelpräparat in Kapselform oder als Pulver sind Saccharomyces boulardii in Perenterol® enthalten. In anderen Ländern heißen vergleichbare Präparate Florastor, Ultra-Levure, Ultralevura und Codex. In Deutschland und Österreich können diese Arzneimittel rezeptfrei in Apotheken bezogen werden.
Doch nicht nur beim Menschen, sondern auch in der Tiermast erfreut sich der Einsatz von Sb als Probiotikum zunehmender Beliebtheit. Levucell® SB ist als Futterzusatz für Säue und Ferkel zugelassen, da es nachweislich Futteraufnahme, Kondition und Gesundheit der Schweine steigert.