Die Cenotes in Yucatán dienten den ersten Siedlern als Schutz und Trinkwasserreservoir. Die Maya verwandelten die gefluteten Höhlen in Opferstätten.
Ihre Blütezeit erlebten die Maya zwischen 300 und 900 nach Christus, wo sie über weite Teile Mittelamerikas herrschten. Kunst und Architektur waren hoch entwickelte Bestandteile ihrer außergewöhnlichen Kultur, auch viele Gesetze der Mathematik und Astronomie hatten die Maya bereits entschlüsselt. Bis heute rätselt die Wissenschaft allerdings, warum das Volk der Maya erst an Bedeutung verlor und dann sogar dem Untergang geweiht war. Aufschluss geben soll nun die mexikanische Halbinsel Yucatán. Sie ist untertunnelt von einem einzigartigen Höhlensystem, das zu weiten Teilen mit Wasser gefüllt ist. Höhlentaucher stoßen im Innersten des faszinierenden Unterwasserlabyrinths immer wieder auf Funde, die Hinweise auf Bestattungsbräuche und Opferkulte der Maya geben. Selbst das geringste Detail kann dabei unter Umständen von äußerster Wichtigkeit sein, da fast alle Bildhandschriften aus jener Zeit zerstört wurden und enorme Lücken in der Überlieferung klaffen. Die Wissenschaftler hoffen, dass sich irgendwann kleinste Puzzlestücke zu einem großen Bild zusammenfügen lassen.
Entstehung der Cenotes
Die mexikanische Halbinsel Yucatán besteht zu großen Teilen aus korallinem Gestein. Während vergangener Eiszeiten sank der Meeresspiegel ab, und Oberflächenwasser konnte in den porösen Kalkstein eindringen. Das im Wasser gelöste Kohldioxid in Form von Kohlensäure frass kleine Hohlräume in die Gesteinsmasse. Im Laufe der Zeit verschmolzen etliche der Hohlräume miteinander. Dadurch entwickelten sich weit reichende Höhlensysteme, die sich mittlerweile über geschätzte 7000 Kilometer erstrecken. Nur ein geringer Teil, etwa 1000 Kilometer, ist bisher erforscht worden. Durch die so genannten Cenotes, unterschiedlich große schachtartige Einbruchstellen der Höhlendecke, sind die unterirdischen Tunnel mit der Außenwelt verbunden. Der Begriff „Cenote“ stammt vom Maya-Wort „ts´onot“ ab, was mit Abgrund oder heiliger Quelle übersetzt werden kann. Weite Bereiche des Höhlensystems sind vor etwa 11000 Jahren, am Ende der letzten Eiszeit, geflutet worden. In flachen Bereichen findet man Süßwasser, in tieferen Schichten von ca. 10 bis 20 Metern befindet sich Salzwasser.
Cenotes bieten ersten Siedlern des Kontinents Schutz
Die bisher ältesten Artefakte und menschlichen Skelette, die in Yucatán gefunden wurden, sind zwischen 2000 und 4000 Jahre alt. Somit stammen sie aus der Maya-Zeit (ca. 2000 v. Chr. bis 1500 n. Chr.) oder sind bereits einer früheren Epoche zuzuordnen. In der Nähe von Tulum entdeckten Wissenschaftler Reste von Feuerstellen und Knochen pleistozäner Säugetiere aber auch menschliche Überreste. Bei vier aus diesen Höhlen stammenden Skeletten, handelt es sich sogar um die ältesten menschlichen Überreste, die bisher auf dem gesamten Kontinent gefunden worden sind. Die Leichen wurden tief in den Höhlen bestattet und dienen den Wissenschaftlern heute als Nachweis, dass Südostmexiko bereits im ausgehenden Pleistozän besiedelt wurde. Der Meeresspiegel vor Yucatán lag vor 13000 Jahren um cirka 65 Meter niedriger, so dass der obere Bereich der Höhlensysteme vermutlich trocken war. Artefakte und Leichenfunde lassen vermuten, dass die damalige Bevölkerung die Höhlen in erster Linie aufsuchten, um Feuer zu machen, Schutz zu suchen, Wasser zu schöpfen, aber auch Bestattungen durchzuführen.
Cenotes als mystische Unterwelt der Maya
Die Cenotes hatten nicht nur für die ersten Siedler eine überlebenswichtige Funktion. Ohne das unterirdische Wasser wäre eine Besiedlung der mexikanischen Halbinsel nicht möglich gewesen. Auch die Maya schöpften Trinkwasser aus den unterirdischen Höhlen und versenkten ihre Toten in den Wasserlöchern. Zugleich verehrten sie die Höhlensysteme aber auch als mystische Unterwelt. Wer starb, musste dem Totenhund bis nach „Xibalba“, dem „Ort der Angst“ folgen. War der Tote erst einmal hinab gestiegen, musste er sich dem Glauben nach so lange von den Herrschern der Unterwelt demütigen und prüfen lassen, bis diese ihn irgendwann wieder frei ließen. Nur Geopferte, Frauen, die im Kindbett starben und Selbstmörder hatten das Glück, direkt zu den Göttern aufsteigen zu dürfen. Höhlentaucher entdeckten zudem etliche Waffen auf dem Grund der Höhlen. Es wird vermutet, dass die Maya die Waffen ihrer Gegner weit in die Höhlen hinab transportierten, dass diese, von den Göttern behütet, nie wieder auf sie gerichtet werden können.
Cenotes als Opferstätten
Die Cenotes besaßen aber eine weitere wichtige Funktion, sie dienten den Maya als Opferstätte für ihre Götter. Die Weltanschauung der Maya glich einem Baum. In der Mitte stand der Mensch, die Äste trugen den Himmel, und die Wurzeln ragten weit in die Erde hinein, in das Reich des Regengottes Chac. Die Maya-Priester huldigten Chac, indem sie sich mit Klingen in Zunge oder Penis schnitten. Das Blut ließen sie in die Cenotes fließen. Bei länger anhaltenden Dürren mussten die Gaben allerdings auch größer ausfallen. Etliche Sklaven, Gefangene aber auch Kinder ließen in den Höhlen ihr Leben. In der größten bekannten Cenote der Stadt Chichén Itza wurden mehr als 120 Skelette gefunden. Knochenanalysen ergaben, dass es sich bei diesen Opfern zumeist um Kinder handelte, die 11 Jahre oder jünger waren. Die Knochenfunde lassen grausame Opferriten erahnen. Wie Archäologen feststellten, wurden manche Opfer regelrecht geschält, bevor ihre Knochen in die Cenotes geworfen wurden. Bruchstellen an den Rippen lassen zudem vermuten, dass einigen Opfern das Herz bei lebendigem Leib herausgerissen wurde.
Forschung steht noch am Anfang
Die bekanntesten Pyramiden der Maya sind häufig in der Nähe von Cenotes zu finden. Dabei sind Pyramiden und Cenotes teilweise durch geheime Wege miteinander verbunden. Ein Rätsel, das die Wissenschaftler bisher noch nicht beantworten konnten, ist die Frage, wie die Maya ihre Kultgegenstände tief in die Cenotes transportieren konnten. Untersuchungen an Stalaktiten ergaben, dass auch zu Maya-Zeiten ein Großteil der unterirdischen Höhlen unter Wasser stand. Die gefundenen Opfergegenstände mussten also tauchend dorthin verfrachtet worden sein. In der Mayastadt Tulum ist an einem Tempel eine tauchende Gestalt zu sehen. Manche Wissenschaftler vermuten, dass es sich um einen Gott handelt, der vom Himmel herab taucht. Andere wiederum glauben, dass es sich bei der zu sehenden Figur um einen Maya mit Tauchermaske handelt. Weitere Figuren transportieren offensichtlich Gefäße vor ihrer Brust, eventuell Gefäße mit Sauerstoff? Sogar Opfernischen wurden tief in den Cenotes entdeckt. Ohne Sauerstoffzufuhr konnte diese Arbeit unter Wasser keinesfalls erledigt werden. Viele Fragen sind noch offen, aber auch etliche Kilometer von den Höhlentauchern noch nicht erforscht!