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Burnout-Syndrom: eine Modediagnose in der Kritik

Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe warnt davor, ein schwammiges Burnout statt einer Depression zu diagnostizieren und führt fünf gewichtige Gründe an.

Wir haben uns längst an eine Haltung gewöhnt, die sich langsam aber stetig als Allgemeingut durchsetzt: der Verlierer kriegt eine Depression, der Gewinner hat ein Burnout. Burnout hat mittlerweile längst einen Beigeschmack von echter Leidenschaft, Aufopferung, hohem Arbeitspensum und „richtig was geleistet haben“. Da darf man dann auch schon mal erschöpft sein und wenn es ein bisschen mehr ist als nur erschöpft, dann hat man eben ein Burnout. Diese Entwicklung macht vielen Menschen im Gesundheitssektor Sorgen, hauptsächlich aber nicht wegen der entstehenden Kosten, der Arbeitsausfälle und dem persönlichen Leid. Sorgen macht eher die Unschärfe dieses Begriffes, den es in den offiziellen Diagnosekatalogen auch gar nicht gibt. Nach dem ICD-10 wird das Burn-out-Syndrom unter Z73.0 geführt, nämlich als „Erschöpfungssyndrom“ unter der Überschrift „Probleme verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“. Und als solches sollte man es auch sehen, es handelt sich um Probleme im Umgang mit den Wechselfällen des normalen Lebens.

Die meisten Menschen, denen ein Burnout diagnostiziert wird, haben eine Depression und diese sollte dann auch beim Namen genannt werden. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe erklärt in einer Pressemitteilung am 2. November 2011, warum das so ist und dass nur eine klare Diagnose auch zur sinnvollen und hilfreichen Behandlung führt.

Stiftung Deutsche Depressionshilfe

Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe, Nachfolger des Kompetenznetzes Depression, Suizidalität, steht unter der Schirmherrschaft von Harald Schmidt und setzt sich für eine Erkrankung ein, die in ihrer Schwere oft sehr unterschätzt wird und in der letzten Zeit vermehrt durch die Medien ging, da viele prominente Betroffene bekannt wurden: Robert Enke, Paolo Guerrero, Ralf Rangnick, Sebastian Deisler, Miriam Meckel, Tim Mälzer und andere.

In Deutschland leiden derzeit ungefähr vier Millionen Menschen an einer behandlungsbedürftigen Depression, allerdings bekommt nur eine Minderheit die adäquate Therapie. Und genau hier setzt das Engagement der Stiftung laut Homepage an: „Depression erforschen – Betroffenen helfen – Wissen weitergeben“. Des Weiteren erfährt man hier, warum das Burnout bei den Fachleuten so auf Unbehagen stößt. Dass psychische Erkrankungen generell mehr in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung geraten, begrüßt die Stiftung zwar sehr, allerdings wird das mittlerweile inflationäre Burnout „von vielen Betroffenen und Experten aus mehreren Gründen als verwirrungstiftend, irreführend und längerfristig stigmaverstärkend eingeschätzt“. Hier hält die Stiftung mit einer Auflistung von fünf Gründen gegen die Modediagnose Burnout dagegen.

Was keine Diagnose ist, kann auch nicht behandelt werden

Das Burn-out-Syndrom, synonym auch nur Burnout genannt, ist keine Diagnose und wird in allen maßgeblichen internationalen Klassifikationssystemen auch nicht aufgeführt. Allerdings bestehen nur für die anerkannten Diagnosen wirksamkeitsbelegte Behandlungsstrategien. Das heißt de facto für alle Menschen, bei denen ein Burnout diagnostiziert wird, dass keiner so recht weiß, was man eigentlich tun sollte und was hilft – ein durchaus unbefriedigender Zustand.

Alle Zeichen eines Burnouts gehören auch zur Depression

Menschen mit einem Burnout empfinden neben vielen anderen Symptomen immer auch eine tiefgreifende Erschöpfung, genau dies hat zum Namen geführt – wer ausgebrannt ist, ist leer und wirklich erschöpft. So weit so gut. Kompliziert wird es aber, wenn man alle Symptome eines Burnouts betrachtet, denn dann kommt man zu der Erkenntnis, dass diese alle auch unter einer Depression subsumiert werden können. Auch die so wegweisende Erschöpfung ist ein Symptom dieser und daher keineswegs unterscheidend einsetzbar oder gar exklusiv. Man muss also davon ausgehen, dass ein Großteil der Burnout-Betroffenen schlicht depressiv ist. Und wenn das so ist, gibt es aus Sicht der Stiftung Deutsche Depressionshilfe keinen Grund, das Kind nicht auch beim Namen zu nennen.

Eine Überforderung von außen ist in der Regel nicht der Auslöser einer Depression

Die Ansicht, dass besonders beruflich hohe Anforderungen fast zwangsläufig ins Burnout führen müssen, ist ein Irrglaube. Bekannt ist, dass Depressionen nur in seltenen Fällen durch äußerliche Überforderungen ausgelöst werden. Vielmehr sind weltweit Verlusterlebnisse oder Partnerschaftskonflikte der Grund für eine Depression. Aber auch scheinbar positive Veränderungen im Leben wie ein Urlaubsbeginn, Beförderungen, Umzüge und ähnliches können die Symptome triggern. Depressive sehen sich zwar in einer depressiven Phase aufgrund von Erschöpfung und Antriebsmangel nicht zu den einfachsten Alltagsverrichtungen in der Lage, können aber nach Abklingen der Symptome ihren Alltag und auch ihre Arbeit in gewohnt erfüllender Weise wieder bewältigen, ohne sich überfordert zu fühlen.

Wäre das Burnout etwas anderes als eine Depression und durch berufliche Überlastung entstanden, müsste man außerdem besonders in den Hochleistungsberufen mit dieser Erkrankung rechnen, aber auch dies entspricht nicht der Realität, Burnout zieht sich durch alle beruflichen Gruppen und tritt sogar bei Menschen ohne Arbeit auf.

Erholung kann hilfreich sein oder gefährlich

Die fehlende Trennschärfe zwischen Depression und Burnout fällt besonders bei dem reflexartig gegebenen Ratschlag, sich doch mal ausgiebig zu erholen, ins Auge. Was bei Menschen, die tatsächlich einfach nur erschöpft sind, eine sinnvolle und hilfreiche Maßnahme ist, ist für Depressive eher gefährlich. Bei diesen führt genau dieser Ratschlag eher zur weiteren Stimmungsverschlechterung und Erschöpftheit. Auch der Tipp, doch einfach mal in den Urlaub zu fahren oder das schöne Wetter zu genießen, geht bei Depressiven meist nach hinten los, denn den Urlaub verbinden viele mit Erholung, innerem Frieden und Entspannung. Tritt das alles nicht ein, deprimiert das nur zusätzlich. Genau so verhält es sich mit den Sonnenstrahlen draußen, bei einem Depressiven verstärkt sich hierbei das Gefühl, im Gegensatz zu denen anderen das nicht wahrnehmen zu können und nicht dazu zu gehören.

Tatsächlich hilfreich sind eher Schlafentzug, Einhaltung einer festen Tagesstruktur und körperliche Bewegung. Eine sofortige Krankschreibung kann hier also das vollkommen falsche Signal sein und sollte individuell genau geprüft werden. Im Falle einer Erschöpfung ist es sicher sinnvoll, den Betroffenen für eine gewisse Zeit aus den Alltagsbelastungen herauszunehmen, wenn es sich aber um leichtere Depressionen handelt, ist das eher kontraproduktiv.

Eine Depression sollte nicht verharmlost werden

Die im Moment populäre Vermischung von Stress, Burnout und Depression ist der Stiftung Deutsche Depressionshilfe deshalb ein Dorn im Auge, weil die tatsächliche Depression dadurch verharmlost wird. Stress, Trauer, gelegentliche Überforderungen und schwierige Situationen im Alltag gehören regelhaft zum Leben und sind per se nicht behandlungsbedürftig, eine Depression aber schon. Nicht jeder, der mal seine Wünsche nicht erfüllt bekommen hat, ist gleich traumatisiert; nicht jeder, der Kopfschmerzen hat, hat auch gleich Migräne und nicht jeder, der mal erschöpft ist, hat gleich ein Burnout. Die Verharmlosung einer Depression stigmatisiert die tatsächlich Betroffenen nur weiterhin, das hilft Niemandem. Daher ist für die Fachleute klar: „Der beste Weg zu einem optimalen Umgang mit der Erkrankung Depression ist es eine Depression auch Depression zu nennen.“ Nur dann kann mit Vorurteilen aufgeräumt werden, Unwissen über die Depression beseitigt und ein hilfreicher Umgang gefunden werden.