Der Feten-Hit der 80er Jahre ist wieder da! Über 25 Jahre ist es her, als es unheimlich angesagt war, sich für eine Party möglichst häßlich zu verkleiden, um ein Optimum an Spaß zu haben. Jetzt ist das Thema zurück.
Partys sind nicht Jedermanns Sache. Punkt 20 Uhr am Samstag gute Laune zu haben – vielen fehlt dafür der Einschaltknopf. Die Lösung: die Anonymität einer Verkleidungsfeier. Neudeutsch nennt sich der Feten-Hit der 80er Jahre Bad Taste-Party. Denn der Sinn und Zweck der Übung besteht darin, genau das anzuziehen, was man normalerweise nicht einmal mit der Grillzange anfassen würde. Jetzt ist die Welle der Hässlichkeit, die lustig macht, wieder da, zu der selbstverständlich auch unterirdisch schlechte Musik gehört. Wobei der Gastgeber, was die Klänge anbelangt, höllisch aufpassen muss. Zuweilen kann eine verächtlich aufgelegte und kommentierte Scheibe zu ernst gemeinten Begeisterungsrufen führen. Und dann ist sie da, die verbale Auseinandersetzung um den Geschmack, über den sich angeblich nicht streiten lässt.
Mut zur Überraschung
Überhaupt bietet kaum eine andere Feten-Form so viele Überraschungen. Wer lässt sich welchen Irrwitz einfallen, um gnadenlos daneben zu wirken? Wessen Outfit macht das Rennen, das Letzte zu sein? Das bekannte Spiel um das Sehen und gesehen werden – hier findet es erneut seinen alten Ursprung. Das weiß man beispielsweise in Stuttgart (im „Romy-S-Club“), in Berlin („Magnet Club“), in Hamburg („Prinzenbar“), in Würzburg („airport“) und in Fulda („Starclub“), wo derlei Getue für öffentlichen Aufruhr sorgt. Aber auch auf privaten Feiern kommt Omas aschgraue Handtasche landauf, landab immer öfter zu ungeahnten Ehren. Oder andere Schrecklichkeiten. Wie bei dem Mann, der zu einem zweireiigen Hugo Boss-Jacket aus Cashmere ein kariertes (ungebügeltes!) Holzfällerhemd trug und die komplett verschlissene Diesel-Jeans dabei nur knapp die Cowboystiefel erreichten. Dazu setzte er einen viel zu kleinen, englischen Filzhut auf. „Mensch, gut siehst du aus!“, lautete einer der Sprüche, allesamt großartige Komplimente, einen neuen, sehr überzeugenden Stil geprägt zu haben. Nix mit Bad Taste!
Geel und Netzhemd
Überaus erfolgreicher agierte Party-Gastgeberin Katja, die sich aus einer Langhaarperücke schwarze Achselbehaarung gebastelt hatte und ihre sonst blonde Frisur unter einer dunklen Lockenhaube versteckte. Dazu trug sie ein lilafarbenes Top, darüber eine schwarze Bluse und geblümte Leggins, deren Umrisse durch ein bißchen Schaumstoff noch beeindruckender wirkten. Ehegatte Eddie, als solider Handwerker sonst ein Freund des Blaumanns oder der Jeans, erklärte sich unter zurück gegeeltem Haar mit einem Netzhemd und einer monströsen Goldkette solidarisch. Nachbar Jürgen, von Beruf Zahnarzt, erschien im Unterhemd, Morgenmantel und in Pantoffeln. Wo der Witz bleibt? Der Mann hatte sich selbst einen derart beängstigenden Überbiss verpasst, dass er einen Hasen auf der Stelle hätte tot umfallen lassen. Vor Schreck. Gattin Ute, die ebenfalls im Sonntagmorgen-Look auftrat (Lockenwickler, geblümter Mantel, Latschen), ließ sich dennoch von ihm gelegentlich an der Wange herzen. Ohne Angst vor Schmerzen.
„Dich kenne ich gar nicht!“
Für Konfliktstoff können auf Bad Taste-Partys übrigens diejenigen sorgen, die ihre Rolle all zu ernst nehmen. Hagen wusste zwar mit geringen Mitteln davon zu überzeugen, dass der angesagte Möbelbauer fortan als Proll übelster Sorte anzusehen sei. Doch der Butterfleck auf dem Unterhemd, das seine Behaarung besonders zur Geltung kommen ließ, trieb ihn zu immer neuen Höchstleistungen. Fragen, die eine beschwingte Konversation über dies und das hätten eröffnen können, stellte er ein entschlossenes „Wer bist Du denn eigentlich. Dich kenn‘ ich gar nicht! Mit Dir rede ich nicht!“ entgegen. Bei jedem! Auch Ivonne, gerade Mal 33 Jahre alt, die als ihre Großmutter gekommen war, verfiel immer mehr in Plattitüden. Obwohl sie sich den ganzen Abend über nur an einer Apfelsaftschorle festhielt, war aus ihr, die sonst als Quell feinsten Humors bekannt ist, nicht mehr heraus zu bekommen als: „Sehr gelungenes Fest. Sehr schön.“ Später, als man der alten Dame dann doch einen Prosecco aufschwatzen konnte, befand sie sich wieder auf dem Weg der Besserung.
Bringer: die Handtasche für den Herren
Für den Schauspieler Jan stellte die Party selbstredend einen Lacher dar. Deswegen glänzte der Verkleidungs-Profi vollkommen unverkrampft mit seinem zehn Jahre alten Hochzeitsanzug. Oben ein silberfarbenes Glitter-Jacket mit übergroßen Revers, dazu ein hellblaues Rüschenhemd und unten eine weiße Kunstleder-Hose. Christina, sonst als Versicherungskauffrau immer im feinsten Business-Zwirn gekleidet, gesellte sich ihm als hoffnungslos überschminkte Putzfrau hinzu. Schnell kam man über die aberwitzigen Moden der vergangenen Jahrzehnte zu sprechen – und zum Lachen. Die Plateau-Sohle, Leggins, die Tennissocke, die Handtasche für den Herrn, Cordhüte, Schlaghosen, die Addilette, Piercing, Röhrenjeans, Stilettos, Pumps und Trainingsanzüge. „Obwohl Madonna sie ja wieder trägt!“, wie Ute einwarf. Tja, heute ist wohl nichts mehr abwegig, wie die Runde feststellte.
Ab zum Scheidungsanwalt!
Eine Bad Taste-Party, so viel ist sicher, bringt Spaß. Zwangsläufig. Das Grinsen stellt sich automatisch ein, wenn man zum Tanzen aufgefordert wird, während Suzi Quatros Stimme gerade bei „48 Crash“ in die Brüche geht. Und wer kann es sich verkneifen, zu prusten, nachdem man die eigene Angetraute nach einer Stunde des Verkleidens entweder nicht wiedererkennt oder doch, dann aber den Impuls verspürt, statt zur Fete zum Scheidungsanwalt zu gehen? Wie man zum Outfit kommt? Sollte der eigene Kleiderschrank nichts Abscheuliches zu Tage fördern, hilft der Fundus des Theaters weiter. In der Stadt ist das mit Kosten verbunden, auf dem Land stehen die Laienspielgruppen oft unkompliziert Gewehr bei Fuß. Ansonsten: Man glaubt nicht, was in Familien von Omas und Tanten aufbewahrt wird. Nur Mut. Und einfach mal wieder anrufen.
Normales Nachtleben? Woll’n wir nicht
Denn spätestens, nachdem Oberwerber Jean-Remy von Matt zum Agentur-Jubiläum von „Jung von Matt“ als Holger Jung kam – und damit nachdrücklich Ästhetik-Verirrungen bewies – gilt: Bad Taste ist total angesagt! Man kann mit dem schlechten Geschmack, zumindest in Frankfurt, im Übrigen auch Geld verdienen. Dort wirbt ein gewisser Dr. Nepper für seinen 025-Club: „Der letzte Bade Taste Award liegt mittlerweile ein paar Jährchen zurück. Doch mit dem Club der Honks bietet sich nun ein nahezu perfektes Umfeld für ein Comeback: Dr. Neppers einzigartiger Trash Award. Wer die Schnauze vom cool sein voll hat, vom snobbigen Frankfurter Nachtleben, der ist hier richtig. Dr. Nepper prämiert das beschissenste Outfit mit 200 Euro in bar. Mitmachen kann jede/r ab 18 Jahren. Das Publikum entscheidet.“
Bravo!