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Anti-Aging: Bloße Lebensverlängerung oder Lebensqualität im Alter

Der Begriff Anti-Aging ist vieldeutig: vom Retuschieren von Altersanzeichen über ein angeblich „ewiges Leben“ durch die Medizin bis zur Gesundheit im Alter.

Die Angst vor einer „Überalterung“ geht um. Doch sollte man daran denken, dass die Menschen heute zwar älter werden, aber auch anders alt werden als früher. Außerdem ist auch das Lebensalter relativ. Als Immanuel Kant 1774 vom akademischen Senat in Königsberg zu seinem 50. Geburtstag geehrt wurde, war die Anrede des Rektors: „Ehrwürdiger Greis…“

Elisabeth von Thüringen setzte sich schon in ihren glücklichen Ehejahren für die Ärmsten der Armen ein, speiste Hungrige, pflegte Kranke und Aussätzige. Nach dem Tod ihres Mannes, vertrieben von der Wartburg. errichtete sie mit ihrem Witwenanteil ein Spital, verschenkte alles und starb aufgezehrt in der Fürsorge für andere. Das Leben einer Heiligen, das Leben einer reifen Persönlichkeit – aber aus heutiger Sicht wie im Zeitraffer gelebt: Heirat mit 14, Verlust ihres Mannes, als sie 20 war, Tod im Alter von 24 Jahren. Trotzdem ein mehr als erfülltes Leben.

Alter im Wandel

Entscheidend ist nämlich nicht, wie lange, sondern wie jemand lebt. Auch in der Medizin gilt heute: Nicht mehr Lebensverlängerung um jeden Preis (oft nur eine Qual für die Patienten), sondern mehr Lebensqualität und mehr gesunde Jahre. Das Altern ist mit der Abnahme körperlicher, aber nicht unbedingt der seelisch-geistigen Fähigkeiten verbunden. Alter ist auch keine Krankheit, selbst wenn Krankheiten im Alter häufiger als in anderen Lebensphasen auftreten.

Die Lösung für Probleme im Alter ist nicht die High Tech Medizin, sondern ein veränderter, nämlich gesunder Lebensstil während der gesamten Lebenszeit. Denn die häufigsten Todesursachen – Herzkreislauf- und Krebserkrankungen – haben ihre Wurzeln schon in jüngeren Jahren.

Die gängige Vorstellung vom Altern ist im Wandel begriffen. Weg vom „Anti-Aging“ im Sinne der „Wiederherstellung“ der (ewigen) Jugend, um das Retuschieren von Alterungserscheinungen, um das Verleugnen des Alters, hin zur Wiederentdeckung des Alters als eigenständige, Sinn-erfüllte Lebensphase.

Vortäuschung „ewiger Jugend“

Bisher ging es um „Anti-Aging“, „Life-Extension“ und ähnliche Wortschöpfungen, die allesamt vortäuschen, wir könnten das Leben unbegrenzt verlängern. Sogar ein „ewiges Leben“ wird da in Aussicht gestellt – sogar von Menschen, die sich als Wissenschaftler bezeichnen. Damit wird ein ganz allgemeines Bedürfnis bedient, das mit der Verdrängung des Themas zusammenhängt und das Woody Allen in einem Satz karikierte: „Ich habe ja nichts gegen Sterben, ich möchte nur nicht unbedingt dabei sein, wenn es passiert.“

Die Medizin spielt bei diesem Verdrängungswettbewerb aktiv mit. Da werden (teure) Hormon-Cocktails verabreicht, vor denen andere Ärzte eindringlich warnen. Anti-Aging-Ärzte rechtfertigen sich damit, dass die erzielten Hormonspiegel nicht höher seien als jene, die der Körper ohnehin aus jungen Jahren kennt. Was aber ein Trugschluss sein könnte. Die Jugend kann ja nicht ernsthaft als Norm für das Alter herhalten. Die Medizin hilft dabei, dem Körper vorzutäuschen, dass er noch gar nicht so alt ist. Der Jugendkult hat auch die Medizin infiziert.

Ein anderer Mediziner versucht, Zellen so zu beeinflussen, dass sie sich genauso verhalten wie Jahre zuvor, als sie noch jünger waren. Verjüngt man beispielsweise die Zellen in den Blutgefäßen, könne das Herz „ewig“ schlagen, so die Behauptung. Mit derart manipulierten verjüngten Zellen gäbe es überhaupt kein Alterlimit mehr. Sollte sich das realisieren lassen – was nicht zu hoffen ist – dann transformieren uns die Ärzte in lebende Tumorzellen. Denn die können sich bekanntlich wirklich „ewig“ teilen und leben. Aber was ist daran so erstrebenswert?

Sinnvolles Altern

Wenn Anti-Aging zumindest die Leistungsfähigkeit im fortgeschrittenen Alter erhalten soll, dann bleibt immer noch die Frage, ob man dazu wirklich Injektionen und Pillen braucht? Außerdem hat die Leistungsfähigkeit der Jugend nichts mit der Leistungsfähigkeit des Alters zu tun. Letztere liegt eher in einer seelisch-geistigen Reife, die mit noch so vielen Injektionen und Pillen nicht zu erreichen ist, die ohnehin nicht das Leben, sondern höchstens die Spätpubertät verlängern. Einen therapeutischen Effekt haben sie trotzdem: Sie regen dazu an, sich Gedanken zu machen, was denn ein vernünftiges Altern wirklich bedeuten könnte. Denn das ist ein völlig anderes Thema.

Anti-Aging kann durchaus als ein Werbegeck für nichts anderes als ein gesundes und natürliches Leben gesehen werden. Geht es doch weniger darum, das Leben zu verlängern, sondern vielmehr darum, endlich mit dem Verkürzen des Lebens aufzuhören. Mit Zigaretten, zu viel Alkohol, Bewegungsmangel, übermäßiger und falscher Ernährung, zu viel Stress und zu wenig Sinn verkürzen wir die tatsächlich mögliche Lebenszeit.

Von „Grauen Panthern“ und einer „Silver Society“

Wir haben uns daran gewöhnt, die kommende demographische Entwicklung ausschließlich als Negativum, Stichwort „Überalterung“, zu sehen. Dass die Betroffenen ihre gestiegene Lebenserwartung auch positiv sehen könnten, wird dabei geflissentlich übersehen. Lieber wird darüber diskutiert, ob wir uns diese drohende Generation überhaupt werden leisten können. Diskutiert wird im besten Fall, ob uns die „natürliche“ Multimorbidität des alten Menschen teurer kommt, oder die Prävention, die diese Morbidität angeblich nur hinausschiebt und das System dann erst recht teuer machen könnte.

Unsere „Grauen Panther“ sind längst keine „Graue Mäuse“ mehr, aber immer noch schreckt das Grau als Vorstufe zu Schwarz. Aber das Grau wandelt sich bald in nobles Silver. Was besagen soll, dass die Generation 50+ ihrer Jugendlichkeit überlassen bleibt und die aus heutiger Sicht wirklich Betagten das Kommando übernehmen werden. Trotz des Gejammers über die Multimorbidität des Alters (die es natürlich gibt und immer geben wird) altern viele Senioren schon jetzt in relativ guter Lebensqualität. Die Bedingungen dafür zu erforschen sollte das Ziel der Medizin sein und nicht einem wahrscheinlich bald obsoleten Jugendkult in die Hände zu spielen.

Lineare Hochrechnungen entsprechen selten der Realität. Sicher ist, dass die Alten von morgen nicht die Alten von gestern sein werden. Tatsache ist auch, dass das Altern nach wie vor ein Imageproblem hat. Aber nachdem Marketing und Werbung sich fürsorglich der neuen Alten annehmen, wird sich wohl auch das Image des Alters bald wandeln. Statt Krankheit, Gebrechlichkeit und Defizit wird die Diskussion zunehmend in Richtung Lebensqualität, Ressourcen und Reife gehen.

In 20 Jahren wird es weltweit fast 500.000 über Hundertjährige geben. In den USA werden sie bereits heute als Forschungsobjekte für die so heiß ersehnte Lebensverlängerung geschätzt. Und während in Europa Jungunternehmer förderungswürdig sind, werden in Japan Unternehmensgründungen von Sechzigjährigen gefördert. Viele Japanische Unternehmen beschäftigen ältere Mitarbeiter als Berater. „Silver Banking“ nennt man das dort. 1500 staatliche „Silver Human Ressource Centers“ vermitteln Senioren als Lehrer, Kinderbetreuer oder Management-Berater. Wie anders doch die demographische Entwicklung interpretiert werden kann, wenn man sie nicht durch die Brille des geistigen Abbaus sieht!