Ein Hörbehinderter wird Mediziner
Ein hörbehinderter Mediziner klagte sich durch alle Instanzen, um sein Studium abschließen zu können. Heute ist er Chefarzt.
Roland Zeh startete sein Medizinstudium mit einem Handicap: Er ist taub. „Als ich mich entschlossen hatte, Medizin zu studieren, habe ich größtenteils Unverständnis geerntet“, erinnert er sich. „Einen tauben Arzt konnte sich einfach keiner vorstellen.“ Im Studium selbst erlebt Roland Zeh dann allerdings „überraschend wenig Schwierigkeiten“.
Die Verständigung im Lehrbetrieb wie im Alltag klappte ganz gut mittels Lippenlesen, schriftlicher Kommunikation und der wertvollen Hilfe einer sogenannten Micro-Link-Anlage. Dabei spricht der Lehrer in ein umgehängtes Mikrofon und der Schüler hört das optimal verstärkt über einen Empfänger an seinem Hörgerät. Davon profitieren auch Menschen mit einer hochgradig an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit wie Roland Zeh.
Wirkliche Probleme gab es für den hörbehinderten Medizinstudenten erst bei der Anmeldung zur Abschlussprüfung: Ein Dozent, der sich weigerte, Zehs Mikrofon umzuhängen, fügt dem letzten klinischen Prüfungsschein sinngemäß etwa folgende Bemerkung an: „Herr Zeh ist hörbehindert und kann nicht allen klinischen Anforderungen eines Arztes genügen.“
Keine Zulassung zur Abschlussprüfung
Prompt wurde Zeh daraufhin die Zulassung zur Abschlussprüfung verweigert, da er nicht alle Aufgaben eines Arztes beherrschen könne (gemeint waren insbesondere das Abhören und das Beherrschen von Notfallsituationen). Und das trotz bis dahin hervorragender schriftlicher und mündlicher Studienleistungen.
Zeh erklagte sich durch zwei Instanzen gerichtlich die Zulassung zur Prüfung. Das Gericht argumentierte, dass man ihm die Chance, sich als Praktikumsarzt zu bewähren, nicht nehmen dürfe. Die spätere Erteilung der Approbation wurde dann vom Verlauf der Praktikumsausbildung und der Beurteilung seines Chefs abhängig gemacht (die tatsächlich sehr positiv ausfiel).
Erfolgreiche Karriere trotz Handicap
Dr. Zeh kann heute auf eine beachtliche Karriere zurückblicken. Er brachte es zum Chefarzt an der Baumrainklinik Bad Berleburg, wo er sich intensiv um Hörgeschädigte und Tinnitusbetroffene kümmern konnte. Hier erforderte die Arbeit mit den Patienten zwar Hören für die Kommunikation, aber nicht für die Arbeit mit dem Stethoskop oder im OP mit der Mundschutzmaske. Außerdem gab es hier wenig Notfälle, wo ein falsch verstandenes Wort hätte gefährlich werden können (allerdings hat Dr. Zeh während seiner gesamten Assistenzarztzeit immer regelmäßig die Bereitschaftsdienste mitgemacht, mit technischen Hilfsmitteln und entsprechenden organisatorischen Regelungen ließ sich das gut umsetzen).
Nach der Arbeit in Bad Berleburg zog es Roland Zeh nach Bad Nauheim, wo er heute Chefarzt an der Kaiserberg-Fachklinik für Orthopädie und Innere Medizin ist und Schwerhörige bei der Rehabilitation unterstützt.
Schwierigkeiten beim Hören gebe es natürlich in seiner Funktion als Chefarzt, räumt Dr. Zeh ein: „Die ständigen Besprechungen sind sehr anstrengend, aber ich kann das bewältigen.“ Sehr geholfen hat ihm dabei sein Cochlea-Implantat, eine Hörprothese, die er seit fünf Jahren trägt und die seine kommunikative Situation wesentlich verbessert hat.
Probleme mit den Kollegen
Wie andere behinderte Kollegen macht auch Dr. Zeh immer wieder die Erfahrung, dass „behinderte Ärzte weniger Probleme mit den Patienten als vielmehr mit den Kollegen haben“. Mit seinem offenen, sympathischen und selbstbewussten Auftreten gelingt es Dr. Zeh allerdings meist, Verständnis für seine behinderungsbedingten Probleme zu wecken.
Der Patientenkontakt war für ihn noch nie ein Problem, weder kommunikativ noch auf der menschlichen Ebene: „Da ich sehr offen und realistisch zu meiner Behinderung stehen kann, kann ich meinem Gesprächspartner die Angst vor dem Umgang mit Behinderten nehmen“, erzählt er. Das würde gerade von kranken Menschen, die ja Hilfe suchen und Vertrauen aufbauen müssten, immer sehr dankbar registriert. Da er hörbehindert ist, muss er auch in einen sehr direkten Kontakt zum Patienten treten. Das ergebe eine intensivere Zuwendung als bei den meisten gut hörenden Ärzten.
Immer wieder Kränkungen
Kränkungen kommen dennoch immer wieder vor: „Wenn ich bei Kongressen bin, wo ich niemanden kenne,“ erzählt er, „fällt es mir sehr schwer, mich einzubringen und Kontakt zu finden – dann habe auch ich oft das Gefühl, dass man mich nicht ganz für voll nimmt.“
Dass er dennoch mit den Kollegen und ganz allgemein mit den meisten Mitmenschen ganz gut auskomme, liege vielleicht auch daran, dass er auch immer versucht, die Bedürfnisse der Nichtbehinderten zu sehen: „Die können ja auch nichts dafür, dass ich behindert bin! Außerdem hat er für sich den strengen Grundsatz aufgestellt, seine Behinderung nie als Ausrede vorzuschieben, wenn er etwas nicht tun konnte oder wollte. Und gerade das sei immer sehr positiv von den anderen registriert worden.