Die krebserregende Wirkung von Acetaldehyd wird diskutiert. Die Risiken des Aromastoffes für Menschen können aber noch nicht zuverlässig abgeschätzt werden.
Acetaldehyd entsteht u. a. bei der Herstellung alkoholischer Getränke und trägt maßgeblich zum spezifischen Aroma einiger Spirituosen bei. Der Gehalt an Acetaldehyd in den verschiedenen alkoholischen Getränken variiert stark. Insbesondere in Likörweinen tritt der Stoff in höheren Konzentrationen auf. Likörweine haben durchschnittlich etwa dreimal mehr Acetaldehyd als Wein intus. Acetaldehyd kommt von Natur aus in verschiedenen Früchten vor. Der Stoff wird wegen seiner geschmacklichen Wirkungen auch verschiedenen Lebensmitteln, und da vor allem Backwaren, als Aroma hinzugefügt. Eine weitere Quelle von Acetaldehyd sind PET-Flaschen, die in Einzelfällen so den Geschmack von Mineralwässern beeinträchtigen.
In der wissenschaftlichen Literatur wird eine krebserzeugende Wirkung von Acetaldehyd diskutiert. Daher wurde das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) gebeten, eine Risikobewertung für Acetaldehyd abzugeben. Dabei sollten insbesondere die Vorkommen in Wein, Likörwein und Spirituosen betrachtet werden.
Acetaldehyd und seine Eigenschaften
Acetaldehyd, auch Ethanal genannt, ist eine farblose entzündbare Flüssigkeit. Es verbreitet einen stechend betäubenden Geruch. Es ist gut mit Wasser und vielen organischen Lösungsmitteln mischbar. Der Siedepunkt liegt bei +20 °C. Es können sich explosionsfähige Luft-Gemische bilden. Aus diesem Grund muss Acetaldehyd kühl gelagert werden.
Acetaldehyd reizt akut die Augen, die Atemwege und die Haut. Es können auch Wirkungen auf das Zentralnervensystem auftreten. Die Sicherheitsdatenblätter enthalten auch den Warnhinweis auf mögliche krebserregende Wirkung. Acetaldehyd ist vor allem ein Grundstoff für die Herstellung von Essigsäure.
Acetaldehyd in Getränken und Nahrungsmittel
Acetaldehyd kommt natürlicherweise in vielen anderen Lebensmitteln vor und trägt teilweise entscheidend zum Geschmack vieler Lebensmittel bei. Das gilt z.B. für Birne, Apfel, Himbeere, Erdbeere, Ananas, Rosmarin, Fenchel, Senf und Röstkaffee.
Ein Expertenkomitee für Aromastoffe des Europarats hat die folgenden Gehalte an Acetaldehyd in Lebensmitteln und Getränken ermittelt:
- Grapefruit-Saft: 0,3 bis 50 ppm
- andere Früchte: bis zu 10 ppm
- Erbsen zwischen: 1 und 400 ppm
- andere Gemüse: bis zu 22 ppm
- Brot: zwischen 4-10 ppm
- Cerealien: bis zu 3,5 ppm
- Yoghurt: zwischen 0,7 und 76 ppm
- andere Milchprodukte: bis zu 8 ppm
- Weißwein: zwischen 7 und 142 ppm
Die Datenbank „Volatile Compounds in Food“ liefert Angaben zum Vorkommen von Acetaldehyd in etwa 200 Lebensmitteln. Dort werden nach Angaben des BfR z.B. folgende Werte genannt:
- Möhren: 2,6-16,9 ppm
- Tomaten: 5-9 ppm
- frische Feigen: 7-40 ppm
- Weizenbrot: 7 ppm
- Cheddar-Käse: 7,5 ppm
- Essig: 60-1060 ppm
Diese Datenbank enthält zu vielen anderen Lebensmitteln, wie beispielsweise zu Bananen, Avocado, Spargel, Rosenkohl, Blumenkohl, Honig, Kakao, Rind- und Schweinefleisch, Fisch und auch zu den Grundnahrungsmitteln Kartoffeln und Reis, qualitative aber keine quantitativen Angaben zum Vorkommen von Acetaldehyd.
Fenaroli’s Handbook of Flavour Ingredients (Volume II, Third edition, CRC Press, 1995) nennt Mengen zur Verwendung von Acetaldehyd als Aromastoff. Als Bespiele hieraus führt das BfR an:
- Backwaren mit 280 ppm
- Fette mit 4 ppm
- Milchprodukten mit 76 ppm
- Käse mit 600 ppm
- Fleischwaren mit 75 ppm
- Alkoholische Getränke mit 470 ppm
Diese Werte beruhen auf Angaben der Vereinigung „US Flavor and Extract Manufacturers’ Association (FEMA)“ von 1993. Ihre Aktualität und Übertragbarkeit auf Europa ist fraglich. Allerdings sind dies zumindest Hinweise dafür, wo sich weitere gewichtige Quellen für die Aufnahme von Acetaldehyd befinden könnten.
Die amtliche Lebensmittelüberwachung hat aktuelle Daten zum Vorkommen von Acetaldehyd in hochprozentigen alkoholischen Getränken veröffentlicht. In den meisten Proben wurden weniger als 100 ppm Acetaldehyd je Liter Getränk gefunden. Der höchste festgestellte Wert war 1159 ppm. Die Angaben in ppm (Part per Million) entsprechen umgerechnet der Angabe in Milligramm pro Kilogramm (mg/kg).
Die Hinweise auf krebserregende Wirkungen von Acetaldehyd
Nationale und internationale Expertengremien haben Bewertungen des kanzerogenen Potenzials von Acetaldehyd veröffentlicht. Dabei stützen sie sich vor allem auf Studien, die die Wirkung von Acetaldehyd bei Aufnahme über die Atmung untersucht haben. Resultate solcher Studien lassen sich aus Sicht des BfR jedoch nicht einfach auf die Aufnahme des Stoffes über Getränke oder Lebensmittel übertragen.
Es gibt eine Tierstudie zur Kanzerogenität von Acetaldehyd nach oraler Gabe. Aber auch die Ergebnisse dieser Studie eignen sich nach Ansicht des BfR nicht dazu, das Risiko einer möglichen krebserzeugenden Wirkung durch orale Aufnahme von Acetaldehyd, wie dies z. B. beispielsweise mit dem Genuss von alkoholischen Getränken verbunden ist, abzuleiten.
Die Stellung des Bundesinstituts für Risikobewertung
Das Bundesinstitut für Risikobewertung kann derzeit keine fundierte Abschätzung zu den Risiken der oralen Aufnahme von Acetaldehyd abgeben. Zwar gibt es Hinweise auf kanzerogene Wirkung alkoholischer Getränke. Aber beim derzeitigen Wissensstand ist nicht abzuschätzen, welchen Anteil Acetaldehyd an der kanzerogenen Wirkung von alkoholischen Getränken hat.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung ist allerdings bei der Betrachtung der vorliegenden Studien hinsichtlich der Verwendung stutzig geworden. Auf der Basis der verfügbaren Daten sollte seines Erachtens die derzeit postulierte gesundheitliche Unbedenklichkeit der Verwendung von Acetaldehyd als Aromastoff hinterfragt werden. Damit beschäftigt sich z. Z. die BfR-Kommission für Lebensmittelzusatzstoffe, Aromastoffe und Verarbeitungshilfsstoffe.
Andere Stellungnahmen
Für andere Autoren ist Acetaldehyd ein klarer Fall, was seine krebserregende Wirkung angeht. Schon länger fordern Fachleute, dass Acetaldehyd systematisch und umfassend hinsichtlich seiner gesundheitlichen Wirkungen untersucht werden solle. Entsprechend äußerte sich z.B. der Karlsruher Lebensmittelchemiker Dirk Lachenmeier im September 2008 in dem Beitrag „Dämonen in der Flasche“ des Deutschlandfunks. Dabei forderte er als Element des vorsorgenden Verbraucherschutzes die Einführung von Grenzwerten für Acetaldehyd.
Bei Betrachtung der Diskussion ist es schon etwas verwunderlich, dass dieser Stoff nicht schon längst intensiver untersucht wurde.