Auch Mini-Reaktoren für Stadtwerke in Russland und den USA in Arbeit. Kernkraftwerke sind umstritten, trotzdem haben sie in Mini-Form offensichtlich eine Zukunft. Denn Klein-Reaktoren sollen Häuser und Siedlungen mit Strom versorgen
Dies klingt besonders für das atomscheue Deutschland erschreckend und beängstigend, aber Realitäten sind zur Kenntnis zu nehmen: Wahrscheinlich schon ab 2019 wird es Mini-Kernreaktoren geben, die – im Garten platziert – Einfamilienhäuser mit Strom versorgen. Etwas größere Anlagen könnten von Stadtwerken angeschafft werden, um Gemeinden etwa wie Bielefeld oder Braunschweig gezielt und exklusiv beliefern zu können. Derartige „Minis“ sind absolut keine Novitäten, denn sie werden seit Jahrzehnten auf den Atom-U-Booten Russlands und Amerikas verwendet. Unternehmen beider Länder auch sind jetzt dabei, solch kleine militärische Reaktoren quasi für den Hausgebrauch zu entwickeln. „Sie werden sehr sicher sein“, behauptet Kirill Danilenko gegenüber dem amerikanischen Journalisten Andrew E. Kramer (New York Times), „sie sind keineswegs risikoreicher als die großen herkömmlichen Nuklearkraftwerke“.
Mini-Reaktor kostet 100 Millionen Dollar
Danilenko ist Direktor des russischen Konzerns Akme Engineering, der erst im Dezember 2009 gegründet worden ist – und das als Tochterunternehmen von Rosatom, dem staatlichen Atomstromproduzenten Russlands und einer privaten Elektrizitätsgesellschaft des vom Kreml unterstützen Multimillionärs Oleg Deripaska. Akme wurde mit einem Startkapital in Höhe von 500 Millionen Dollar aus der Taufe gehoben. Ein Minireaktor aus diesem Haus dürfte um die 100 Millionen Dollar kosten. Aber auch in den USA, wo das zuständige Energieministerium Klein-Reaktoren befürwortet, sind Unternehmen am Design von Mini-Kernkraftwerken beschäftigt: Westinghouse etwa oder Babcock & Wilcox sowie NuScale, ein Neuling auf diesem Gebiet, hervorgegangen aus einem Forschungsprojekt der Oregon State University.
Atom-U-Boote standen Pate
Am weitesten fortgeschritten sind offensichtlich die Mini-Reaktoren des russischen Herstellers Akme, dessen Design auf Modellen beruht, die seit Jahrzehnten im Gebrauch sind – nämlich auf sowjetischen Atom-U-Booten, u.a. der Alfa-Klasse (NATO-Code: SSN Alfa). Die ersten dieser damals schnellsten U-Boote der Welt (Unterwasser-Geschwindigkeit: 80 km/h) wurden in den 1970er Jahren in Dienst gestellt, sie waren bis 1995 in Betrieb, also über den Zerfall der Sowjetunion hinaus. Angetrieben wurden diese Boote durch den mit Flüssigmetall gekühlten Reaktor OK-550 oder BM-40A. Beim Flüssigmetall handelt es sich um eine Blei-Wismut-Legierung. Diese sehr aufwändige Reaktortechnik war nicht nur außerordentlich wartungsintensiv, sondern auch sehr störanfällig. Die zur Kühlung der Reaktoren eingesetzte Metalllegierung verfestigte sich bereits bei Temperaturen unter 125 Grad Celsius, so dass es in Häfen und bei Wartungsmaßnahmen durch externe Vorrichtungen mit überhitztem Dampf flüssig gehalten werden musste. Drei Boote der Alfa-Klasse erlitten während ihrer Dienstzeit Reaktorunfälle. Dabei gab es weder Tote noch Verletzte. Nach der Außerdienststellung solcher U-Boote wurden ihre Reaktoren – jeder wiegt einige hundert Tonnen – in der russischen Arktis eingelagert, etwa in der Nähe des russischen Marinehafens Gremikha.
„Selbst in nicht sehr geschickten Händen maximal sicher“
Die damaligen technischen Schwächen dieser Klein-Reaktoren existieren bei den neuen Designs nicht mehr, unterstrich der an ihrem Bau maßgeblich beteiligte Ingenieur Igor Kudrik im Rahmen eines Telefoninterviews mit der „New York Times“. Die Vizepräsidentin des Herstellers Akme, Anna Kudrijawtseva, ging noch weiter: Die nicht-militärische Version des Flüssigmetallreaktors sei „selbst in nicht sehr geschickten Händen maximal sicher“, sagte sie.
„Weltweit“, stellt die „New York Times“ in diesem Zusammenhang fest, wird die „Serienproduktion“ von Mini-Reaktoren – also: für den „Hausgebrauch“ – verfolgt. „Wie Ford-Automobile“ würden sie von den Bändern rollen und „einzeln oder in Modulen“ zum Einsatz kommen. Solche Mini-Reaktoren müssten allerdings „klein genug sein, damit sie per Bahnwaggon transportiert werden können“.
Nicht größer als ein Dieselgenerator
Nach Auskunft des in Washington ansässigen Nuclear Energy Institute gibt es derzeit neun Designs amerikanischer Mini-Kerkraftreaktoren. Die Wiener International Atomic Energy Agency wiederum schätzt, dass es um das Jahr 2040 weltweit einen Bedarf von 500 bis 1 000 Mini-Atomkraftwerken geben wird. Ein solcher „Mini“ wird weniger als 300 Megawatt Elektrizität liefern. Das entspricht einem Viertel der Kapazität eines herkömmlichen Kernkraftwerkes und würde etwa 300 000 US-Haushalte mit der benötigten Elektrizität versorgen können. Derartige Reaktoren sind so bemessen, dass sie in still zu legende Kohlekraftwerke mittlerer Größe passen. Der kleinste der geplanten US-Mini-Reaktoren ist nicht größer als ein Dieselgenerator – er könnte per Lastwagen transportiert werden. Und sein Reaktor muss nur alle sieben Jahre mit neuem Kernbrennstoff versehen werden.