Zwangsstörungen sind gemeinhin aus der Psychologie bekannt. Bekannte Beispiele hierfür sind Putz-, Zähl-, Ordnungs- und Waschzwang.
Wenn die Betroffenen einer Therapie zustimmen, ist es wichtig, das direkte Umfeld – je nachdem Eltern, Geschwister, Lebenspartner, Kinder – mit einzubinden. Es wird bei Zwangsstörungen also eher davon ausgegangen, dass hauptsächlich auch das private Umfeld des Klienten unmittelbar von der Störung betroffen ist.
Menschen mit Zwangssymptomen können jedoch ebenso für Vorgesetzte und Kollegen eine Belastung werden, auch wenn die Beziehung formellen und in der Regel keinen privaten Charakter hat.
Allgemeine Kennzeichen von Zwangsstörungen
- Ständiges Wiederholen von bestimmten Handlungen, z. B. mehr als 50-malige Kontrolle, ob die Haustür tatsächlich abgeschlossen ist, stundenlanges Händewaschen, nachdem man mit Schmutz in Berührung gekommen ist usw. Folgeerscheinungen von Zwangshandlungen wie etwa stundenlange Verspätungen oder Ekzeme aufgrund exzessiven Waschens. Entsprechende Rückmeldungen der Umwelt werden weitestgehend ignoriert.
- Schuldgefühle, wenn man die Handlung nicht ausgeführt hat. Dieses Schulderleben kann sich sehr expansiv äußern (Weinen, Zittern, Nägel kauen u. ä.).
Zwangsstörungen aller Art resultieren meist aus einem sehr normenrigiden Über-Ich, das vielfach in der Kindheit geprägt wurde. Kommen im Laufe der Biographie weitere ungünstige Aspekte hinzu wie etwa länger dauernde problematische Partnerschaften, mangelndes Selbstwertgefühl, ungeordnete Lebensverhältnisse usw., verstärken sich Zwangsstörungen oftmals zusätzlich. Wenn im Innen- und/oder Außenleben des Betroffenen schon Chaos herrscht, soll dies durch einen Bereich überkompensiert werden, in dem alles pedantisch geordnet ist.
Praktische Konsequenzen im Büro
Für Kollegen und Vorgesetzte ist es zeit- und nervenraubend, da sie in das Zwangskonstrukt des Betroffenen eingebunden werden. Statt beispielsweise schlicht eine Telefonnotiz gut sichtbar auf den Schreibtisch des Chefs zu legen, um ihn darüber in Kenntnis zu setzen, dass während seiner Abwesenheit ein Kunde für ihn angerufen hat, wird diese Telefonnotiz kopiert, in Akten abgeheftet und häufig mit vielen Anmerkungen versehen; häufig wird sogar mehrfach beim Chef nachgefragt, ob er den Zettel tatsächlich gefunden und bereits zurückgerufen hat. Mit ständiger Nachfragerei und Kontrolle von Kollegen bringt der Betreffende sein direktes Umfeld auch in beruflicher Hinsicht gegen sich auf, da dieser Kontrollzwang unter Umständen auf Außenstehende so wirkt, dass derjenige der Überzeugung ist, alles und jeden kontrollieren zu müssen, weil alle anderen außer ihm selbst ihre Arbeit nicht im Griff haben. Dies wird als Überheblichkeit und Arroganz gedeutet und führt somit zu weiteren negativen Rückmeldungen der Umwelt.
Bei fehlender Krankheitseinsicht kommt erschwerend hinzu, dass der Betroffene sich seines Kontrollzwangs nicht bewusst ist und sich weiterhin verpflichtet fühlt, seine Kollegen in jeder Hinsicht zu kontrollieren und sich ein wöchentliches Arbeitspensum aufzuerlegen, das normalerweise überhaupt nicht notwendig wäre.
Interessanterweise ist bei Mitarbeitern mit Kontrollzwang zu beobachten, dass sie sehr restriktiv auf Fehler anderer reagieren, sich aber taub stellen, wenn ihnen eigene Fehler unterlaufen oder diese sogar vehement bestreiten, wenn sie offen von anderen damit konfrontiert werden. Gleichzeitig ist ein hohes Maß an Rechthaberei bei solchen Personen zu beobachten. Sie sind unkorrigierbar von der eigenen Wichtigkeit und Fehlerfreiheit überzeugt, so dass an dieser Stelle Parallelen zum Größenwahn (Megalomanie) zu beobachten sind. Vielfach versuchen solche Personen auch, dies hinter scheinbarer Hilfsbereitschaft zu tarnen, etwa mit den Worten „Ich hab’s doch nur gut gemeint …“.
Umgang mit Kollegen, die ihren Kontrollzwang ausüben
Wie sich aus dem oben Dargestellten ergibt, hat es wenig Zweck, mit einem Betroffenen über den Sinn oder Unsinn seiner Kontrollhandlungen zu diskutieren. Das Einzige, was den Kollegen bleibt, ist die Möglichkeit, sich klar von diesem Verhalten abzugrenzen und sich nicht in ihrer eigenen Arbeitsweise von dem Betreffenden gängeln oder kontrollieren zu lassen. Ein höfliches aber bestimmtes „Frau Meyer, ich habe Ihnen nunmehr dreimal bestätigt, dass ich meinem Chef ausgerichtet habe, dass Herr XY für ihn angerufen hat. Bitte rufen Sie mich nicht ständig hierzu an“ ist die wirkungsvollste Vorgehensweise. Schlichtes Ignorieren wäre eine schlechte Alternative, da der Betroffene unterbliebene Rückmeldungen unter Umständen als stillschweigende Zustimmung wertet und seine Kontrollhandlungen ausweitet.
Nützt dies alles nichts, ist häufig ein offenes Gespräch mit dem zuständigen Vorgesetzten die einzige Alternative. Hierbei ist natürlich die Sachlichkeit zu wahren. Beschimpfungen oder unsachliche Äußerungen wie „Die spinnt doch, die hat dreimal kontrolliert, ob ich Herrn XY ausgerichtet habe, dass Frau YZ angerufen hat“ wirken in diesem Zusammenhang eher kontraproduktiv. Aus diesem Grund sollte nach Möglichkeit ein Zeitpunkt für das Gespräch mit dem Chef gewählt werden, dem keine aktuelle Konfliktsituation mit dem betreffenden Mitarbeiter vorausgegangen ist, denn gerade wenn die Kollegen aufgrund eines nur wenige Minuten zurückliegenden Disputs noch verärgert sind, besteht die Gefahr, unsachlich zu werden aufgrund des eigenen verständlichen Ärgers. Natürlich sollten konkrete Situationen als Beispiele gebracht werden, aber eben auf einer sachlichen Ebene. Über die weitere Vorgehensweise bzgl. des Kontrollzwangs des jeweiligen Mitarbeiters entscheidet dann der zuständige Vorgesetzte.