Die eigene Sichtweise entscheidet, ob sich ein Problem auflöst. Jede Situation wird automatisch bewertet. Und zwar aus einer gewohnten Perspektive. Oft hilfreich für die schnelle Einschätzung, ist dies in anderen Fällen hinderlich.
So manches Problem, ob nun die Schwierigkeiten mit dem Chef oder dem Kollegen, lässt sich durch einen Perspektivenwechsel lösen. Denn die eigene Sichtweise entscheidet mit darüber, ob sich das Problem verstärkt oder auflöst. Lisa E. überreichte die angeforderten Unterlagen ihrer Kollegin Anja S., die sofort alles durchblätterte und anstatt eines Dankes nur kritisch schnauzte „Es fehlt die Hälfte. Ich hatte ausdrücklich darum gebeten, dass die Vorgänge ZEF komplett enthalten sein müssen. Muss ich denn alles alleine machen?“
Ein Vorgang, der sich tagtäglich in den Büros abspielt und den jeder schon – egal auf welcher Seite – erlebt hat. Oberflächlich ist es „nur“ ein Problem der fehlenden Unterlagen, doch eigentlich spielt die Musik einen ganz anderen Marsch. Vorwürfe und Schuldzuweisungen. Mangelnde Anerkennung für erbrachte Leistung und Herabsetzung der Fähigkeiten. Ohnmacht und Wut. Das Arbeitsverhältnis der beiden angeschlagen – es hat einen Sprung erhalten, der abhängig davon, wie viele Risse die kollegiale Beziehung schon hat, vielleicht gar nicht mehr zu kitten ist.
Aus der Sichtweise der beiden Beteiligten hat jeder ein Recht auf seine Sichtweise – und dem daran gekoppelten Verhalten. Natürlich darf man sich darüber ärgern, wenn die Kollegin die Unterlagen nicht komplett vorlegt. Natürlich darf man sich aber auch über das Anschnauzen der Kollegin ärgern. Leider trägt diese menschliche Reaktion zu keiner (wirklichen) Lösung bei. Im Gegenteil. Da die Gefühle unausgesprochen bleiben – im Berufsleben eine goldene, doch fragwürdige Regel – suchen sich diese ein anderes Ventil. Magendrücken oder vielleicht eher Rückenschmerzen.
Es gilt eine andere Lösung zu suchen. Ein Perspektivenwechsel ist angesagt. Dieser ermöglicht, die Situation neu zu bewerten und so (entspannter) zu handeln.
Tipp 1: Gewohnte Perspektive erkennen
Dies gelingt zu Anfang am besten in einer ruhigen Minute, wenn die Situation „überstanden“ ist. Die vergangene Zeit hat einen Abstand geschaffen, der es ermöglicht, aus der Distanz heraus das Geschehene erneut zu beleuchten.
- Was ist geschehen? Wer war wie beteiligt?
- Wie hat jeder reagiert?
- Welche gewohnten Perspektiven und Sichtweisen offenbaren sich?
Beispiel: Anja gibt ihre Sichtweise offen zu „Muss ich denn alles alleine machen?“, der schon zu einem Glaubenssatz geworden ist. Sie fühlt sich mal wieder im Stich gelassen, unterstellt gleichzeitig allen anderen Inkompetenz.
Tipp 2: Ist es denn wirklich so?
Die beruflichen Gegebenheiten realistisch abklopfen. Denn eigene Gefühle wie beispielsweise Wut oder Ohnmacht verzerren die Realität und stellen die erlebte Situation als immer geltend dar. Dabei wird schnell ausgeblendet, wie beispielsweise in Meetings den Vorschlägen gefolgt wurde oder dass der Chef nur bestimmte Bereiche – und nicht alles – kontrolliert. Diese Verzerrung belastet – körperlich, seelisch, mental – und schränkt den eigenen Handlungsspielraum ein.
Beispiel: Schnell entdeckt Anja, wie hilfreich ihr gerade auch Lisa bei vielen anderen Arbeiten zur Hand gegangen ist.
Tipp 3: Den Perspektiven-Impuls benennen
Gewohnte Perspektiven zeigen sich meist in ganz bestimmten Situationen. Ein Impuls, meist Stress, der eine schnelle Einschätzung verlangt, aktiviert die vertraute Sichtweise. Sich diesen Impuls bewusst zu machen, hilft zukünftig, die Situation neu betrachten zu können.
Beispiel: Ihre Unsicherheit hatte Anjas gewohnte Perspektive aktiviert.
Tipp 4: Offen für Neues bleiben
Zur Unterstützung am besten auf kleine Karteikarten, die auf den Schreibtisch gelegt werden, die alte Perspektive notieren und darunter die neue Sichtweise.