Auf der Spur eines urzeitlichen Nahrungsnetzes.
Der fossile Fund eines Stachelhais mit konservierten Nahrungsresten offenbart eine rund 290 Millionen Jahre alte drei Ebenen umfassende Nahrungskette in einem See.
Die deutschen Paläontologen Jürgen Kriwet, Florian Witzmann und Stefanie Krug vom Museum für Naturkunde in Berlin sowie Ulrich Heidtke vom Pfalzmuseum in Bad Dürkheim fanden eine Gesteinsplatte aus dem Perm (299 bis 251 Millionen Jahre vor heute). Sie zeigt einen Skelettabdruck eines Stachelhais, der im „Humberg-See“ des Saar-Nahe-Beckens lebte. Das Fossil enthält zwei konservierte Amphibienlarven im Magen des Hais. Eines der beiden Amphibien fraß vor seinem Tod einen Knochenfisch. Damit umfasst das von den Forschern gefundene Fossil gleich drei Ebenen einer ehemaligen Nahrungskette. Ein solcher Fund ist bislang einmalig und stellt den direkten Beweis für ein in vergangener Zeit existentes Ökosystem dar.
Räuber-Beute-Beziehungen im Ökosystem „See“
In jedem Ökosystem existieren verschiedene Nahrungsebenen, die zu einer Nahrungskette bis zu einem Nahrungsnetz verknüpft sind. In einem See findet man meist vier der so genannten trophischen Ebenen: Auf der ersten Stufe stehen die Produzenten, meist photosynthesetreibende Pflanzen (z. B. Plankton). Es folgen hierarchisch drei Konsumentenebenen (Verbraucher). Innerhalb der Gruppe der Konsumenten finden sich Pflanzenfresser (Primärkonsumenten) und Fleischfresser (Sekundärkonsumenten). Die Drittkonsumenten stellen die Endkonsumenten dar. Hierbei handelt es sich in modernen Seen um z. B. Krokodile oder räuberische Knochenfische, wie Hechte oder Forellenbarsche. Die Destruenten (Zersetzer) schließen den Stoffkreislauf im Ökosystem.
Aus den Abhängigkeiten von linearen Nahrungsketten lassen sich Nahrungspyramiden aufstellen, da die Anzahl der Individuen von den Produzenten zu den Endkonsumenten stetig abnimmt. Tatsächlich verfügt ein Ökosystem stets über komplexe Nahrungsnetze, da sich ein Primär- bzw. Sekundärkonsument nicht ausschließlich von einer Beuteart ernährt.
Evolutionäre Entwicklung
Der fossile Stachelhai mit seinen überlieferten Nahrungsresten ermöglicht erstmals einen direkten Einblick in die bisher älteste bekannte Nahrungskette. Sie spiegelt die Räuber-Beute-Beziehung zwischen fossilen Wirbeltieren wieder. Da zu der damaligen Zeit weder Krokodile noch moderne Knochenfische existierten (sie entwickelten sich erst viel später), lässt sich vermuten, dass kontinentale aquatische Ökosysteme von Süßwasserhaien und großen Amphibien beherrscht wurden. Im Vergleich mit modernen Süßwasserseen bedeutet dies, dass sich die Räuber-Beute-Beziehungen im Laufe der Zeit stark verändert haben: Im Paläozoikum (542 bis 251 Millionen Jahre vor heute) bildeten noch Stachelhaie und Amphibien das Ende der Nahrungskette. An der Perm/Trias-Grenze (vor 251 Millionen Jahren) starben diese Haie im Zug des größten bekannten Massensterbens der Erdgeschichte aus. Die verbliebenen Amphibien beherrschten gut 50 Millionen Jahre allein in den kontinentalen Gewässern – bis sie am Ende des Mesozoikums (251 bis 65 Millionen Jahre vor heute) von den nun aufkommenden Krokodilen verdrängt wurden. Die Nische der ausgestorbenen Stachelhaie besetzten sukzessiv die sich im Mesozoikum entwickelnden modernen Knochenfischen.