Auf dem Weg zur Supraleitung bei Raumtemperatur. Physiker haben eine Beschreibung der Supraleitung veröffentlicht. Physiker haben eine Beschreibung gefunden. Damit, so ihre Hoffnung, kann gezielter nach Supraleitern für Raumtemperatur gesucht werden. Wann finden Physiker ein Material, dass bereits bei Zimmertemperatur supraleitend ist? Da scheint noch ein weiter Weg vor den Forschern zu liegen. Doch unter Beteiligung von Wissenschaftlern der Julius-Maximilians-Universität Würzburg wurde jetzt über eine Entdeckung berichtet, die zumindest einen aussichtsreichen weiteren Forschungsweg aufzeigt.
Supraleitung – bisher ein Phänomen der Kälte
Die „Supraleitung“ gehört zu den Forschungsgebieten der Physik, auf die sich schon seit etlichen Jahrzehnten große Hoffnungen richten. Supraleitung wird der Effekt genannt, bei dem ein Material elektrischen Strom verlustfrei leitet. Derzeit sind nur Materialien bekannt, die einen supraleitenden Zustand erst bei niedrigen Temperaturen annehmen.
Zwei Klassen von Supraleitern sind bisher bekannt: Schon seit etwa 100 Jahren ist die Supraleitung von Metallen in der Nahe des absoluten Nullpunktes von Minus 273 Grad Celsius bekannt. Vor rund 20 Jahren wurden die ersten „Hochtemperatur-Supraleiter“ gefunden. Das sind in der Regel Materialien mit Eigenschaften von keramischen Werkstoffen. Ihre Sprungtemperatur zum Supraleiter liegt bei etwa Minus 150 Grad Celsius. Der Unterschied ist von erheblicher Bedeutung für die Anwendung: „Zur Kühlung auf extrem tiefe Temperaturen benötigt man flüssiges Helium, das sehr teuer ist“, sagt Werner Hanke. Für die so genannten „Hochtemperatur-Supraleiter“ hingegen reicht flüssiger Stickstoff – ein im Vergleich äußerst billiges Kühlmittel“.
Doch die Supraleitung bei normalen Umgebungstemperaturen ist ein drängender Wunsch der Technik. Denn mit solchen Leitern würde sich die Welt verändern. Unvorstellbar schnelle Computerchips sind ebenso denkbar wie verlustarme Magnete für die Schwebebahn. Und vor allem ließen sich die Stromnetze, die derzeit über den Daumen gepeilt etwa 10% der erzeugten elektrischen Leistung bei der Übertragung vernichten, verlustarm oder gar verlustfrei gestalten. Dann würde der Sonnenenergienutzung in der Sahara kein ohmscher Widerstand mehr im Wege stehen.
Noch tritt Supraleitung erst bei vergleichsweise niedrigen Temperaturen auf: Minus 120 Grad Celsius ist der zurzeit höchste Wert, bei dem ein Stoff zum Supraleiter wird. Physiker erhoffen sich mehr: „Unser Traum ist es, ein Material zu finden, das bereits bei Zimmertemperatur die gewünschten Eigenschaften zeigt“, sagt Werner Hanke, der bis vor kurzem einen Lehrstuhl für Theoretische Physik an der Universität Würzburg hatte.
Der Zufall hat die Suche bestimmt
Hankes Spezialgebiet ist die theoretische Festkörperphysik. Das vergangene Jahrzehnt hat er sich vor allem mit dem Mechanismus beschäftigt, der die Hochtemperatur-Supraleitung möglich macht. Jetzt ist er gemeinsam mit Kollegen aus Deutschland und den USA einen bedeutenden Schritt weitergekommen. In der Zeitschrift Nature Physics haben die Forscher darüber berichtet. „Bisher war die Suche nach neuen Supraleitern mehr vom Zufall bestimmt als von einem exakten Wissen“, sagt Werner Hanke. Um unter den fast unendlich vielen Materialien die zu finden, die supraleitende Eigenschaften zeigen könnten, fehlte bisher ein Prinzip der Supraleitung. „Dieses Prinzip hat uns bisher gefehlt. Jetzt wird es langsam sichtbar“, so der Würzburger Physiker.
Magnetische Kräfte bestimmen bei der Hochtemperatur-Supraleitung
Das Forscherteam stellte nun dar, das in Hochtemperatur-Supraleitern magnetische Kräfte für das Verschwinden des Widerstands verantwortlich sind. Diese magnetischen Kräfte beruhen auf dem Spin, der Drehrichtung der atomaren Teilchen um ihre eigene Achse. Einen Spin haben auch die Ionen, die im Kristallgitter des Supraleiters an den Kreuzungspunkten sitzen. Ist die Richtung der Spins jeweils die gleiche, dann ist das Material ein Ferromagnet. Wechselt dagegen die Richtung von Ion zu Ion, dann ist das Material nicht ferromagnetisch. Und diese Eigenschaft zeigen die bekannten Hochtemperatur-Supraleiter.
Zwei Leerstellen im Kristallgitter bringen die Elektronen auf Trab
Wie ein Schachbrett sehen die Ebenen supraleitender Kristalle aus. Die unterschiedliche magnetische Polung wird durch weiße und schwarze Felder repräsentiert. Werden in das normalerweise sehr regelmäßige magnetische Gitter dieser Materialien nun vereinzelt Atome anderer Elemente hinein gebracht, verändert das die Ordnung geringfügig. Im Supraleiter sind einzelne Plätze in diesem magnetischen Gitter unbesetzt. Benachbarte Elektronen mit ihrem Spin können auf die freien Stellen springen. „Das kostet allerdings viel Energie und ist für den Widerstand verantwortlich, denn die resultierende Anordnung, bei der Elektronen mit gleicher Magnet-Ausrichtung direkt nebeneinander liegen, ist energetisch ungünstig“, sagt Werner Hanke.
Eine schlagartige Änderung tritt ein, wenn zwei Leerstellen im Kristallgitter nahe beieinander liegen und die auf diese Leerstellen springenden Elektronen sich nun „paaren“. Die Störungen im magnetischen Gitter, die das erste Elektron hervorruft, werden von dem zweiten Elektron wieder rückgängig gemacht. Die Folge: Zwei benachbarte Lücken – und somit auch die in sie hinein springenden Elektronen, die sich zu einem Paar formieren – können, ohne eine Störung im magnetischen Schachbrett-Gitter zu hinterlassen, verschoben werden und so ohne ohmschen Widerstand elektrische Ladung transportieren. Wenn sich dann sehr viele solcher „Cooper-Paare“ zusammentun und mit gleicher Geschwindigkeit bewegen, dann liegt ein Supraleiter vor.
Keine Argumente gegen Supraleitung bei Zimmertemperatur
Werner Hanke freut, dass nun eine Formel vorliegt, mit der zumindest näherungsweise für bestimmte Stoffkombinationen die Sprungtemperatur berechnet werden kann, bei der aus einem regulären Leiter ein Supraleiter wird. Der Würzburger Physiker ist optimistisch. Er meint, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die ersten Supraleiter vorliegen, die schon im Bereich von Zimmertemperatur Strom ohne Widerstand leiten. Schließlich geben seinen Arbeiten keinen Hinweis darauf, dass der Effekt der Supraleitung eine Obergrenze der Temperatur hat.
Die Untersuchungen erforderten gigantische Rechnerleistungen
Die Erklärung zur Supraleitung hört sich einfach an. Die Überprüfung war sehr aufwändig und erforderte den Einsatz besonders leistungsfähigster Großrechner. „Schließlich geht es in diesem Fall nicht um einzelne Elektronenpaare“, sagt Werner Hanke., „Hier treten 10 hoch 23 und mehr Teilchen miteinander in Wechselwirkung.“ Mit Simulationen auf den größten Computern der Welt konnte Hanke gemeinsam mit Physikern der University of California und mit Kollegen von den Max-Planck-Instituten in Stuttgart und in Dresden zeigen, dass tatsächlich die Spins der Elektronen sie zu Paaren bindet.