Pflanzen und Tiere sind im Stress: anpassen, abwandern oder sterben? Das weltweite Klima-Chaos verändert Lebensräume. Daran sterben viele Pflanzen- und Tierarten. Die für den Menschen lebensnotwendige Artenvielfalt sinkt deshalb erheblich.
Pflanzen und Tiere ernähren den Menschen Tag für Tag. Sie geben ihm Luft zum Atmen, Lebenskraft und eine gesunde Zukunft. Ohne sie wäre er zum Sterben verurteilt. Flora und Fauna dagegen wachsen, gedeihen und entwickeln sich seit Urzeiten unabhängig vom Menschen. Dazu siedeln sie sich in geeigneten Lebensräumen an, die ihre Fortpflanzung und damit den Fortbestand ihrer Art sichern. Wie die Naturschutzkonferenz der Vereinten Nationen im Jahr 2008 feststellte, leben ungefähr 15 Millionen Arten auf der Erde. Davon sind nur 1,8 Millionen bis heute bekannt.
Egal, ob sie kleine Biotope oder ganze Landstriche bevölkern, ob sie dem Tierreich angehören oder zu einer Pflanzenpopulation zählen: ihre natürliche Vielfalt stärkt und schützt unser Ökosystem Erde zuverlässig. Durch den Klimawandel allerdings verlieren zahllose Gattungen ihr Leben: laut Weltklimabericht werden auf diese Weise allein in Europa 60 Prozent aller Pflanzen- und Tierarten bis zum Jahr 2080 ausgelöscht. Um den Artenreichtum (Biodiversität) der Flora und Fauna auch zukünftig als notwendige Lebensgrundlage zu erhalten, lässt die Klimaerwärmung dem Menschen also sehr wenig Zeit. Immerhin belastet tagtäglich nicht nur Kohlendioxid aus unzähligen mit fossilen Brennstoffen betriebenen Heizungen und Kraftfahrzeugen die Atmosphäre, sondern auch aus der Verwendung häuslicher Konsumprodukte.
Flora und Fauna fliehen vor der Klimaerwärmung bis zu 500 Meter im Jahr
Die Klimaerwärmung bedeutet für zahlreiche Tiere und Pflanzen eine Katastrophe. So zeigen nicht nur mächtigere und häufiger auftretende Stürme, sintflutartige Niederschläge oder zerstörerische Überschwemmungen Mensch und Natur ihre Muskeln. Auch Klimazonen und darin bisher fest verwurzelte Ökosysteme verschieben sich dauerhaft. Wie im Dezember 2009 eine Studie amerikanischer Wissenschaftler der California Academy of Sciences und anderer Institute ergab, bewegen sich Ökosysteme bei anhaltender Erwärmung im Jahr um bis zu 500 Meter. Dabei nehmen Nord- und Südpol die Hauptzielrichtungen ein. Wie die Naturschutzkonferenz der Vereinten Nationen berichtet, ziehen Bienenfresser, Wiedehopf und Zwergohreule bereits in Richtung Norden. Ebenso wandern bedrohte Arten in höher über dem Meeresspiegel gelegene Regionen ab, weil sie im kühleren Bergklima noch artgerechte Lebensräume vorfinden.
Ökosysteme höheren Artenreichtums passen sich leichter dem Klimawandel an
Welche Narben der Klimawandel bei einzelnen Ökosystemen hinterlässt, bleibt allerdings nach wie vor nur sehr lückenhaft erforscht. Denn jeder biologische Lebensraum antwortet auf diese globale Veränderung ganz unterschiedlich, je nachdem welche Wechselwirkungen dort Pflanzen- und Tiervölker verbinden. Untersuchungen in Systemen höheren Artenreichtums zeigen, dass sich diese leichter an jede Umweltbelastung oder klimatischen Temperaturstress anpassen.
In Deutschland sind 35 Prozent aller Tier- und 26 Prozent aller Pflanzenarten gefährdet
Bereits bedrohte Arten hingegen geraten durch die Klimaerwärmung zusätzlich in Gefahr. Die im Jahr 2007 überarbeitete Rote Liste weltweit gefährdeter Pflanzen und Tiere legt auch die Zahlen für Deutschland offen: 35 Prozent aller Tier- und 26 Prozent aller Pflanzenarten sind bestandsgefährdet, unter anderem der Europäische Stör und der Glattrochen. Da laut Angaben der Vereinten Nationen in unserem Land aber beispielsweise nur 2.682 höhere Pflanzenarten wachsen, hinterlassen die erwarteten Ausfälle tiefe Narben im natürlichen Gefüge. Denn mit dem Verlust einzelner Populationen zerreißen immer auch intakte ökologische Kreisläufe, so dass sich zum Beispiel Schädlinge zu stark vermehren oder bestäubende Insektenvölker Nahrungsnot leiden.
Große Artenvielfalt schützt intakte Lebensräume vor Umwelteinflüssen
Obwohl im Vergleich dazu in Brasilien über 56.000 höhere Pflanzenarten gedeihen, sind diese laut einer Studie von Ary Hoffmann vom Centre for Environmental Stress and Adaption Research an der University of Melbourne kaum in der Lage, sich klimabedingten Veränderungen wirksam und zügig anzupassen. Doch unabhängig davon, wie breit das jeweilige Artenspektrum in den unterschiedlichsten Lebensräumen sein mag: bei abnehmender Biodiversität (Artenvielfalt) sinken darin regelmäßig auch die natürlichen Widerstandskräfte. Damit ergeben sich derart ausgedünnte Gebiete oft wehrlos weiteren Umweltgefahren.
Flora und Fauna versuchen, die Folgen klimatischer Ausgrenzung zu meistern: während fest verwurzelte Organismen nach neuen Überlebensstrategien suchen oder andernfalls verkümmern, wandern mobilere in artgerechtere Regionen im Norden ab. Wie Thomas Hoffmeister, Leiter der Arbeitsgruppe Populations- und Evolutionsökologie an der Universität Bremen betont, hadern spezialisierte Lebewesen dabei mehr mit dem Klimawandel als niedrig entwickelte.
Felsenschwalben und Zippammern werden zu Klimaflüchtlingen
Wie wärmeres Klima auf die Entwicklung von Vogelbeständen einwirkt, untersuchten Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz zum Beispiel 2007 am Bodensee. Dort stieg die durchschnittliche Lufttemperatur in den Wintermonaten, aber auch während der Brutzeit um mehr als zwei Grad Celsius. Dadurch fehlt dort oft das satte Nahrungsangebot für die Aufzucht der Jungen. Im Vergleichszeitraum von 1980 bis 2002 gingen deshalb die Populationen beheimateter Uferschnepfen um 84 Prozent, die der Gelbspötter um 74 Prozent zurück. Gleichzeitig beobachtete das Projektteam aber auch den Zuzug von Felsenschwalben und Zippammern, zwei Klimaflüchtlingen aus dem Mittelmeerraum, die jetzt lieber am kühleren Bodensee nisten. Wie der Naturschutzbund Deutschland e.V. berichtet, ist das Verhalten von Vögeln im Klimadurcheinander noch am besten erforscht. Dabei zeigen Rote Listen Verhaltenstrends sehr deutlich an.
Während in diesem Augenblick das Treibhausgas Kohlendioxid aus Öl- und Gasheizungen oder Kraftfahrzeugen entweicht und das Klimakarussell antreibt, schwindet der Lebensraum der Eisbären und Korallenriffe erbleichen im Todeskampf. Der größte Verlierer dabei aber bleibt der Mensch.