Motherese: Der englische Begriff bezeichnet die Fähigkeit der Mütter, instinktiv sprachanregend mit ihrem Kind zu sprechen – und zwar von Geburt an!
„Gutschi-gutschi-guu!“ – Nein, das hört man an der häuslichen Wiege nicht mehr. Therapeuten, Sprachförderer, Ärzte und Zeitschriften raten den Eltern heutzutage dies und das, was sie tun sollten – und was nicht -, um ihre Sprösslinge früh zu fordern und zu fördern in Bezug auf Ernährung, Gesundheit und natürlich auch Sprache.
Aber: Gibt es denn nicht noch ein paar Instinkte, einen Rest angeborenen Habitus, etwas, das niemand einer Mutter zeigen muss, damit sie ihr Kind automatisch gut zur Sprache führt? Aber ja doch, wir sind noch nicht der Natur entfremdet: „Motherese“ heißt die Methode mütterlichen Sprechens, meist englisch benannt, die Kronprinzen und Prinzessinnen sicher zum Sprachwunder führen kann, sofern die körperliche und geistige Entwicklung des Kindes altersentsprechend verläuft.
Wann beginnt „Motherese“?
Es ist beachtenswert, dass kein Mensch seine Babies mit einer tiefen Stimme anspricht – im Gegenteil: Jeder Säugling wird mit denkbar höchstem Gesäusel angesprochen. Ob es nun: „Wo ist denn der Papa? Ja wo ist der Papa denn?“ ist, oder: „Hast du Durst, mein Schatzilein?“ , in jedem Fall wird die Stimme auf etwa 400 bis 600 Hertz angehoben. Und mit Erfolg: Babies reagieren auf hohe Töne leichter und wesentlich positiver, tiefe Töne werden oft als bedrohlich empfunden. So gesehen beginnt das Motherese mit der Geburt des Kindes – und genau genommen beginnt hier auch die Sprachentwicklung und mit ihr das Motherese.
Auch die Satzmelodie wird übertrieben, das Redetempo langsam, die Sätze sind kurz und werden oft wiederholt: „Wo ist denn der Johannes? Ja, wo ist er denn, der Johannes? Daaa ist er, der Johannes, daaa ist er!“
Gibt das Baby Laute von sich, ahmen es die Mütter gleich nach, sie geben dem Kind auf diese Art ein Feedback, an dem es abgleichen kann, wie seine Lautäußerungen sich anhören. Dieses stete Wechselspiel zwischen Mutter und Kind erfordert viel Einfühlungsvermögen von der Mutter.
10 Merkmale des Motherese: die Vorsorge von Mutter Natur
Was niemand lernen muss, wenn es automatisch funktioniert:
- Erhöhte Anzahl der Äußerungen: Die Mama kommentiert so ziemlich alles, was ihr Kind interessieren könnte: „Eine Biene! Sieh mal, da fliegt die Biene! Summ, summ!“
- Geringe Äußerungslänge: „Sieh mal, da fliegt die Biene!“ statt: „Da, schau mal, da fliegt eine dicke schwarzgelbe Biene ganz schnell um den Baum und an unserem Haus vorbei!“
- Weniger komplexe Sätze: „Morgen kommt Oma Mia!“ statt: „Wenn wir fertig sind mit dem Frühstück, dann kommt Oma Mia mit dem Bus und bringt dir was mit!“
- Weniger Vergangenheitsformen der Verben: „Die Hexe fliegt auf dem Besen.“ statt: „Die Hexe flog auf dem Besen.“
- Weniger Wörter vor dem Hauptverb: „Papa hat Geld gegeben.“ statt: „Papa hat mir gestern Abend schon das Geld gegeben.“
- Weniger Bindewörter (Konjunktionen): „Ich gehe rein, du bleibst bei Oma!“ statt: „Ich gehe rein, aber du bleibst bei Oma.“ oder „Ich weiß, das war der Joel.“ statt: „Ich weiß, dass das der Joel war.“
- Viele Befehlsformen (Imperative): „Heb‘ das jetzt auf!“ statt: „Es wäre nett, wenn du das aufheben würdest.“ oder „Lauf‘ schnell!“ statt: „Ich wünsche, dass du jetzt schnell läufst!“
- Viele Fragen: „Wie läuft der Hase?“, „Wo ist der Bauch?“, „Was macht der Papa da?“
- Einwortäußerungen: „Ball!“, „Autofahren!“, „Nein!“
- Viele Inhaltswörter: Inhaltswörter haben einen eindeutig erkennbaren, offenbaren Inhalt: „Ball“, „laut“, „laufen“. Funktionswörter hingegen haben keine sofort erkennbare Bedeutung, sondern erfüllen eher eine Funktion im Satz: „weil“, „dass“, „bei“.
Mütterliche Sprachautomatik – wenn die Mutter empathisch ist
Mütter haben dies alles bereits „drauf“, brauchen es nicht lernen. Vielmehr nutzt die Wissenschaft diese Techniken der Sprachförderung, um sie in Kindergärten und Therapien den Pädagogen und Therapeuten zu vermitteln.
Doch Vorsicht: Voraussetzung für das Motherese ist immer eine starke Empathie für das Kind, das heißt, man muss mit dem Kind mitfühlen, seine Bedürfnisse begreifen und akzeptieren können. Je eher die Mutter heraus bekommt, was ihr Kind mit seinem Schreien oder Quängeln fordert, desto selbstbewusster formt das Kind seine Kommunikationsversuche. Störungen in diesem Wechselspiel des Deutens, Nachahmens und Anregens haben Kommunikationsstörungen zur Folge; das bringt Ärger mit sich! Fühlt sich ein Kind beispielsweise nicht verstanden, kann das Nachahmen des Kindes wie ein „Nachäffen“ wirken, was das Kind weder zur Sprache, noch zum Selbstbewusstsein führt.
Sie sind SprachlehrerIn für Ihr Kind
Die Reaktionen der Mutter auf die Sprachäußerungen ihres Kindes – auch schon als Baby – sind also wegweisend für die weitere Sprachentwicklung des Kindes. Wenn das Kind bereits Spracherfahrung gesammelt hat, beginnt die Mama, meist ebenso automatisch, grammatikalisch oder inhaltlich falsch oder ungenau geformte Sätze zu korrigieren:
„Auto put?“ – „Ja, das Auto ist kaputt. Schade!“ oder: „Ich hab aufgeesst!“ – „Super, du hast aufgegessen!“
Dies nennt man „korrektives Feedback“. Das Kind bekommt dabei keinen Fehler auf’s Butterbrot geschmiert, vielmehr hört es den vorbildlich richtigen Satz erneut, den es sich so besser einprägen kann. Wie praktisch!