Die Stephanuskirche im Reutlinger Stadtteil Sondelfingen. Wer nur standesamtlich heiratet, vermisst oft die Atmosphäre des Kirchenraums. In Reutlingen bekommt man beides. Die Stephanuskirche zieren Malereien des 17. Jahrhunderts.
Auf den Pfarrer verzichten, nicht aber auf eine Kirche – das kann man im Schwäbischen. Genauer gesagt: im Reutlinger Stadtteil Sondelfingen. Die ehemalige Stephanuskirche ist im Besitz der Gemeinde und dient unter anderem für standesamtliche Trauungen. Wer sich für die Hochzeit einen solchen ganz besonderen Ort aussucht, der sollte auch etwas über dessen Geschichte wissen:
Die Geschichte der Stephanus-Kirche
Das schlichte rechteckige Gebäude ist eine typische schwäbische Dorfkirche. Reizvoll sind am Außenbau die grün glasierten Ziegel des Turms, während die Atmosphäre im Innern bis heute – oder eher: heute wieder – durch die Malereien an den Wänden und Deckenbalken bestimmt wird. Erstmals urkundlich erwähnt ist die Sondelfinger Dorfkirche 1275 in den Akten des Bistums Konstanz, zu dem der Ort damals gehörte. Die ältesten nachweisbaren Mauerreste des Gebäudes sind aber noch älter, sie stammen aus dem 12. Jahrhundert. 1538 wurde in Sondelfingen – Württemberg war protestantisch – der erste evangelische Pfarrer eingesetzt. Im 17. Jahrhundert wurde die Kirche verbreitert und erhielt damit wohl im Wesentlichen ihre heutige Form. In die verlängerte Chorwand setzte man eines der gotischen Maßwerkfenster des älteren Gebäudes ein. Auch im Süden, an der Eingangsseite, wurden Fenster mit Maßwerk eingebaut, die man neu anfertigte – ebenfalls im gotischen, eigentlich nicht mehr modernen Stil. Am Portal ist die Jahreszahl 1686, das Datum der Kirchenerweiterung, zu erkennen.
Die Dekorationen aus dem 17. Jahrhundert fand man um 1770 nicht mehr zeitgemäß: Wandmalereien und Deckenbalken verschwanden hinter Putz und Vertäfelungen bzw. unter einer neu eingezogenen Decke. Weitere Umbauten fanden im 19. Jahrhundert statt. Mit der Einweihung der neu gebauten Johanniskirche in Reutlingen verlor die Kirche 1960 ihre Bestimmung. 1977 wurde sie an die Gemeinde verkauft, in den Folgejahren zur Kapelle für den angrenzenden Friedhof umgebaut und restauriert. Seither dient sie für verschiedene kommunale Veranstaltungen, für Konzerte und zum Heiraten.
Die Wandmalereien
Die Figuren der Wandmalereien müssen ursprünglich wesentlich lebendiger gewirkt haben als heute, denn vielen Gesichtern fehlt die Binnenzeichnung. Dem Kirchenraum vermitteln die Bilder mit ihren bunten, aber gedämpften Farbtönen trotzdem bis heute eine ganz besondere, freundliche Atmosphäre. Sie zählen zu den wenigen erhaltenen Ausmalungen protestantischer Kirchen des 16. und 17. Jahrhunderts – die ursprünglich übrigens keineswegs selten waren. Hinter den Bildern steckten vorrangig theologische, weniger dagegen künstlerische Absichten.
An der Ostwand der Kirche haben sich die ältesten Reste von Malereien erhalten: Darstellungen der beiden Heiligen Andreas und Matthias, die im ersten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts entstanden. Bei der Restaurierung der Kirche hatte man sie unter den späteren Malereien entdeckt, die den heutigen Eindruck des Gebäudes maßgeblich bestimmen.
Die um 1686 entstandenen Malereien im Stil der Spätrenaissance zeigen an der Nordwand die Reste einer Reihe von Aposteldarstellungen, an der östlichen Chorwand Szenen aus der Leidensgeschichte Christi. Die Darstellungen werden durch Textfelder ergänzt, die die entsprechenden Bibelstellen und, soweit noch erkennbar, die Namen der Bildstifter überliefern. An der Südseite ist ein Teil der Malereien durch den späteren Einbau eines Fensters zerstört worden. Hier helfen die Schriftfelder bei der Rekonstruktion: Dargestellt sind bzw. waren die Taufe Christi, die Beschneidung des laut Bibel 99-jährigen Abrahams und seines 13-jährigen Sohnes Ismael (die am gleichen Tag stattfand), das Passahmahl am Vorabend des Auszugs der Hebräer aus Ägypten und schließlich das Abendmahl Jesu. Altes und Neues Testament wurden von protestantischen Theologen der Zeit gerne gegenüber gestellt: So weist das Passahmahl des Alten Testaments bereits auf das letzte Abendmahl. Taufe (ganz links) und Abendmahl (ganz rechts) sind außerdem die beiden (einzigen) Sakramente des Protestantismus.
Standesamtlich Heiraten in der Stephanuskirche in Sondelfingen
Ganz nach den Wünschen des Paares kann eine standesamtliche Trauung in der Stephanuskirche gestaltet werden. Besonders betont wird von Seiten der Verantwortlichen auch die gute Akustik der Kirche – einer musikalischen Umrahmung steht also nichts im Weg. Platz ist für bis zu 120 Gäste, aber auch für einen kleineren Rahmen ist die ehemalige Dorfkirche geeignet. Das schöne Ambiente nutzen nicht nur die Reutlinger: Paare aus ganz Deutschland und sogar aus dem Ausland haben sich hier nach Angaben der Gemeinde bereits das Ja-Wort gegeben.
Für Trauungen im kleinen Kreis mit bis zu 30 Gästen steht in Reutlingen auch die ehemalige Kapelle des Königsbronner Pfleghofes im Garten des Heimatmuseums mit ihrem gotischen Gewölbe zur Verfügung. Informationen und Bilder rund ums standesamtliche Heiraten in den beiden Sakralbauten gibt es auf den Internetseiten der Gemeinde Reutlingen.