Für viele Jakobspilger die erste Station nach einer harten Bergetappe über die Pyrenäen. Andere starten hier ihre Pilgerreise.
Roncesvalles oder auch Orreaga (auf Baskisch) ist ein kleines Pyrenäen-Nest aus nur 20 Einwohnern in der nordspanischen Provinz Navarra. Dennoch ist hier die ganze Welt zu Hause. Menschen aller fünf Kontinente geben sich ein Stelldichein in dem ersten Etappenziel des Camino Frances auf spanischem Territorium. Der Ort besteht aus einer gotischen Stiftskirche, der Real Colegiata, einer Pilgerherberge im dazugehörenden Klosterkomplex, einem Hotel mit Aparthotel, zwei Pensionen mit Restaurants, einem Tourismusbüro, dem Klostermuseum und weiteren zwei historischen Kapellen. Das war es dann auch schon. Umso verwunderlicher scheint es, dass dieser Ort so begehrt ist.
Pilgerstation Roncesvalles/Orreaga
Eigentlich könnte man auch sagen, es bleibt den armen Jakobspilgern gar nichts anderes übrig, als hier im nebelverhangenen Dunst der mausgrauen Gebäude von Roncesvalles Halt zu machen. Die meisten sind nach dem Aufstieg von St. Jean-Pied-de-Port auf der französischen Pyrenäenseite und der Überwindung des Ibañeta-Passes auf 1.057 Metern viel zu kaputt, um weiterzulaufen. Nach knapp 30 Kilometern alias sechs bis acht Stunden je nach Kondition und stetigem Bergauf gehen die Wanderer an ihre körperlichen Grenzen. Und das gleich als Einstieg, denn St. Jean-Pied-de-Port nach Roncesvalles gilt als die erste offizielle Tagesetappe des Camino Frances. Bis Santiago de Compostela sind es von hier noch genau 790 Kilometer. Das Schild am Ortsausgang führt den Pilgern nochmals vor Augen, auf was sie sich da eigentlich einlassen. Das wird den meisten eh erst mitten in der Reise bewusst. Die ersten Zweifel kommen nach der Pyrenäenüberquerung, denn wer hier nicht körperlich austrainiert und wanderfit ist, kämpft mit sich im wahrsten Sinne des Wortes. Dazu kommt das instabile Wetter. Es kann von dichtem Morgennebel über schwüle Hitze und Regen alles vorkommen. Im Winter sind die Gipfel nur mit Schneeschuhen passierbar. Dennoch, oder gerade deshalb hat Roncesvalles einen ganz eigenen mystischen Zauber. Bei gutem Wetter sind die Panoramen traumhaft und die Wanderung durch den dichten uralten Eichen- und Buchenwald herrlich erfrischend.
Phänomen Jakobspilger
Ein tägliches Bild in Roncesvalles: Menschen mit schweren Rucksäcken, quietsch bunten Regencapes, Hüten und groben Wanderstiefeln; erschöpfte Gesichter, verschwitzte Hemden…. Omas und Opas, gleich neben Pilgern, die ihre Enkel oder Kinder sein könnten. Frauen, Männer, Alt und Jung. Ulkige Figuren, die im dichten Nebel aus dem Wald Bosque de Basajaunberro stapfen. Endlich ein Gebäude. Zuerst fällt die Stiftskirche ins Auge. Verloren blicken die Wanderer um sich, jetzt muss schnellstmöglich eine Herberge her. Ein Stimmengewirr aus Französisch, Italienisch, Englisch, Deutsch und Spanisch begleitet das „Klack, klack“ der Wanderstöcke. Manche gehen einsam und gedankenversunken, andere in Gruppen. Hola, Hallo, Hello, Bonjour! Man grüßt sich, bleibt kurz stehen, wechselt ein paar Worte und geht weiter. Die einen in die Pilgerherberge, die anderen zieht es in eine Pension oder Hotel. Andere wollen erst mal was essen. Dann müssen noch die Kleider gewaschen und aufgehängt werden. Dann eine heiße Dusche, die nach dieser Etappe wie der Himmel auf Erden scheint. Um 20 Uhr treffen sich alle wieder zur traditionellen Pilgermesse in der Colegiata. Spätestens um 22 Uhr liegen alle todmüde im Bett und der Ort wirkt wie ausgestorben.
Stiftskirche Real Colegiata von Roncesvalles
So mausgrau sich die der Heiligen Maria geweihte Stiftskirche Real Colegiata von außen zeigt, so eindrucksvoll gibt sie sich von innen. Unübersehbar von französischer Gotik geprägt, trägt sie doch auch noch viele romanische Züge ihrer Gründungszeit aus dem 12.und 13. Jahrhundert. Die drei Kirchenschiffe werden von enormen Säulen gestützt, farbenfrohe Glasfenster mit diversen Heiligen und biblischen Szenen lassen das Sonnenlicht herein. Am Hauptaltar glänzt die versilberte gotische Figur der Muttergottes „Santa Maria de Roncesvalles“ mit goldener Krone unter einem Bronzebaldachin. Elegant und stilvoll ist der Gesamteindruck des Kircheninnern. Eine Seitenkapelle mit dem Heiligen Jakobus zieht vor allem die Pilger an und ist Motiv zahlreicher Erinnerungsfotos. Schließlich ist er ja der „Chef der Expedition gen Santiago “. Ein kleines Bittgebet vor der Reise kann also nicht schaden. Angeschlossen an die Kirche ist das Klostermuseum mit einem restaurierten Kreuzgang aus dem 17. Jahrhundert. Der ursprüngliche romanische Kreuzgang stürzte im Jahr 1600 wegen einer meterhohen Schneedecke ein. Im Museum ist auch das Grabmal des Königs und Kirchengründers Sancho des Starken zu sehen. Das Kloster Roncesvalles wurde im 12. Jahrhundert gegründet und war eine der ersten Pilgerherbergen und – hospitäler des mittelalterlichen Camino de Santiago.
Die Legende des Roland, dem Ritter Karls des Großen
Roncesvalles ging in die Geschichtsbücher ein wegen der überlieferten „Schlacht von Orreaga/Roncesvalles“. Am 15. August 778 überquerte das Heer von Karl dem Großen nach einem Feldzug im Baskenland die Pyrenäen bei Valcarlos gen Frankreich. Roland, der erfolgreichste Krieger des französischen Königs, wurde mit seiner Nachhut in Roncesvalles von Sarazenen überfallen und getötet. Fast seine gesamte Truppe kam bei der Schlacht ums Leben. Das Geschehen wurde dreihundert Jahre später durch das mittelalterliche Heldenepos „La Chanson de Roland“ vor allem in Frankreich berühmt. Dabei wurde der Wahrheit mit zahlreichen Ausschmückungen noch etwas nachgeholfen, aus den wenigen Angreifern wurde beispielsweise eine Übermacht von 400.000 Soldaten. Überall in Roncesvalles erinnern Spuren an dieses Ereignis. Da ist die Heilig-Geist- Kapelle, auch „Silo de Carlomagno“ genannt, die Glasfenster im Kirchenmuseum zeigen Szenen der historischen Schlacht und zahlreiche Monumente im Ort wie auch am Ibañeta-Pass erinnern an den Hinterhalt. Jedes Jahr am 15. August wird das Epos in der Jakobsukapelle im Ort nachgespielt.
Unterkünfte in Roncesvalles
Die meisten Pilger wählen die öffentliche Pilgerherberge, die seit 2010 im Gebäude des neuen Hospitals untergebracht ist. Zuvor war diese im historischen Gebäude des alten Pilgerhospitals in der Casa Itzandegia beheimatet. Hier schlafen die Pilger in riesigen Räumen ohne Türen, die Betten nur durch Mauern voneinander getrennt. Auch ist der Empfang der Herbergsväter nicht immer von Pilgerliebe und Gastfreundschaft geprägt. Mit Freundlichkeit scheint man hier bisweilen auf Kriegsfuß zu stehen. Wer etwas mehr als zehn Euro bereit ist, auszugeben, findet in der Pension „La Posada“ eine sympathischere und etwas intimere Alternative. Es gibt auch noch das Hostal Casa Sabina und das sehr geschmackvolle und angenehme 3-Sterne-Hotel Roncesvalles mit den gemütlichen Apartments der „Casa de Beneficiados“ gleich neben der Kirche. Auch für Nichtpilger ist Roncesvalles ein magischer Anziehungspunkt für einen Tagesausflug.