Aus dem Schlaf hoch zu fahren, aufgeschreckt zu werden, durch einen Albtraum der Panik nahe zu sein – das kennt jedermann. Ein US-Arzt verspricht Abhilfe.
Wer kennt das nicht – schweißgebadet aus dem Schlaf hochzufahren, aufgeschreckt zu werden, meist in den frühen Morgenstunden…und das nach einem Albtraum, der Angstzustände auslöst. Nicht wenige Betroffene sind dabei oder danach der Panik nahe. Allgemeinmediziner, Psychiater und Psychologen – abgesehen von Quacksalbern – beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit dem entsprechenden Krankheitsbild, für das es bisher nur individuelle Behandlungsmethoden gibt. Nach sehr persönlicher Analyse. Jetzt wartet der amerikanische Schlafforscher Dr. Barry Krakow, so ist der „New York Times“ und JAMA, dem Journal of American Medicine, zu entnehmen, mit einer generelleren „Kur“ auf: Die Auswirkungen eines sich vor allem wiederholenden Albtraums lassen sich durch einen Tagtraum, in den sich der Patient – auch offenen Auges! – selbst versetzt, besiegen oder zumindest lindern.
Vorm Einschlafen Fröhliches denken
Ein überzeugendes, einfaches Traumbeispiel: Eine Emily Gurule, in ihren Fünfzigern und Lehrerin, rast mit ihrem schwarzen Ford durch die engen Straßen einer Stadt. Sie kann nicht nur nicht bremsen, sondern wird zudem von einer erschreckenden Geistergestalt mit riesigen, blinkenden Augen verfolgt. Dieses Etwas kommt immer näher – bis die Lehrerin schweißgebadet und am ganzen Körper zitternd aufwacht.
Dr. Barry Krakow, Schlafforscher an einer Spezialklinik in Albuquerque/New Mexico, verabreichte keine Medikamente, forderte auch nicht den Besuch eines Patientenforums, sondern hatte einen sehr einfachen Rat: „Erfinden Sie einen neuen Traum, einen nicht-schrecklichen, und Sie werden sehen, es geht Ihnen schnell und auf Dauer besser“. Vorm nächsten Einschlafen dachte die geplagte Lehrerin angestrengt, auch überzeugt nach: Der schwarze Ford wurde dabei zu einem weißen Cadillac, die Geistergestalt mit den grellblinzelnden Augen zu einer fröhlich lächelnden Puppe – diesen Ersatztraum hatte sich die Lehrerin selbst einfallen lassen.
Auch Therapiestunden helfen
Und siehe da: Sie hatte nie wieder diesen Albtraum. Dr. Krakow erläutert seine These: „Der alte Traum wird regelrecht abgeschafft, wir schaffen einen neuen. Das Schreckliche, das Böse verschwindet“. Er nennt seine Technik „Traum-Meistern“. In vielen Fällen, wie bei der Lehrerin, gelingt das durch Selbstdisziplin. Wer nachhaltigerer Heilung bedarf, kann bei Dr. Krakow in dessen Klinik Maimonidas Sleep Arts Center Therapiestunden besuchen. Sie sind dazu geeignet, Albträume – vor allem wiederkehrende – in ihrer Anzahl zu reduzieren, ihre Intensität zu lockern oder sie völlig zu eliminieren.
Träume analysieren
Bis zu acht Prozent der Bevölkerung leidet unter Albträumen, etwa einmal wöchentlich – oft auch häufiger. Aber rund 90 Prozent solcher Menschen, die Schreckliches erlebt haben – etwa einen Überfall, einen Unfall, eine kriegerische Auseinandersetzung wie Afghanistan –, werden immer wieder von Albträumen heimgesucht. Seit Jahrhunderten beschäftigt sich die Menschheit mit diesem Phänomen, doch in unserer Zeit erst wird es intensiv wissenschaftlich „angegangen“, wie Dr. Krakow formuliert. Er wird in seiner These übrigens von der Schlafforscherin Dr. Deirdre Barrett, Psychologin an der Harvard Medical School, unterstützt. Sie urteilt: „Träume waren für uns Psychologen immer schon die Interpretation eines Erlebens, und jetzt kommen wir zu der Überzeugung, dass Träume zu beeinflussen sind, wenn man sie analysieren kann, lassen sie sich ändern“.
Vögel gegen das Trauma
Davon ist nach anfänglicher Skepsis nunmehr auch Roberta Parker (55), Patientin von Dr. Krakow, überzeugt. Sie war in Japan, wo sie Englisch unterrichtete, entführt und drei Tage lang gefoltert und vergewaltigt worden. Sie wurde dauernd von entsprechenden Albträumen geplagt, hatte Angst vorm Einschlafen, dachte schon an Selbstmord. Bis sie Dr. Krakow traf. Der redete sie „in einen anderen Traum“, wie sie sich erinnert, „das gibt ihnen Kraft, und wenn sie diesen anderen Traum beim Wachsein, vor dem Einschlafen praktizieren – dann verschwindet Ihr schrecklicher Albtraum mit der Zeit“.
„Das ist zu einfach“, dachte sie für sich selbst, „so geht das nicht“. Aber sie versuchte es. Sie war von Kindheit an ein Vogelnarr, liebte, kannte Vögel aller Art – sie wurden die Zentralfiguren eines Traumes, den sie sich erdachte. „Ich fütterte wilde Vögel, streichelte Tauben, sang mit Meisen…und statt schreiend vor Furcht auf zu wachen, dachte ich frühmorgens fröhlich an die schönen Vögel“.
Dr. Krakows Methode ist nicht unumstritten. Wissenschaftler des New Yorker Carl Young Institute etwa lehnen sie ab. Doch Dr. Krakow und seine Gefolgschaft wie die Psychologin Deirdre Barrett bleiben unbeirrt – scheinbar mit Erfolg.