Wenn Jugendliche gewalttätig werden, liegen die Ursachen dafür in der Persönlichkeit, der Familie, der Schule und dem sozialen Umfeld.
In letzter Zeit häufen sich die Meldungen über Gewalteskalationen unter Jugendlichen oder sogar von Jugendlichen gegenüber Erwachsenen. Selbst wenn die mediale Darstellung die Fakten deutlich verzerrt, erscheint es angebracht, über die Ursachen von Jugendgewalt nachzudenken.
Aggressionsfördernde Umstände in der Persönlichkeit und der Familie
Hat ein Jugendlicher einen hohen Stimulationsbedarf, ist die Verlockung durch Gewalt fördernde Drogen und Alkoholika besonders groß. Aggressives Verhalten wird dazu genutzt, sich selbst wahrzunehmen. Der Hormonausstoß wirkt befriedigend. Auslöser können Kleinigkeiten sein, da jugendliche Gewalttäter sich häufig durch eine niedrige Frustrationstoleranz auszeichnen. Oftmals liegen frühkindliche, traumatisierende Entwicklungsverletzungen wie Ablehnung oder Misshandlung, Missbrauch oder Verstoßung vor oder aktuelle Entwicklungsprobleme, Pubertät, Identitäts- und Sinnkrisen, schulische oder soziale Misserfolge werfen den Jugendlichen emotional aus der Bahn.
Gewalttätiges Verhalten der Eltern auch gegeneinander kann als Vorbild fungieren, Probleme mit Gewalt zu lösen. Bereits dauerhafte Ehekrisen, Trennungen oder die emotionale beziehungsweise körperliche Abwesenheit eines Elternteils können Auslöser sein, ebenso der Stress in einer sich neu zusammenfügenden Patchworkfamilie. Leider ist auch ein niedriger sozialer Status der Eltern häufig ein Indikator. Des Weiteren führen Inkonsequenz oder Uneinigkeit in der Erziehung, permissive oder unterdrückende Erziehung oftmals zu Frustration mit oben geschilderten Folgen.
Aggressionsfördernde Einflüsse der Schule und des sozialen Umfelds
Der Besuch einer Schule mit niedrigem Bildungsabschluss wirkt sich ebenfalls nachweislich positiv auf die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen aus, entweder aufgrund von Über- oder Unterforderung oder aufgrund der Qualität der Ausbildung, die keine Zukunftsperspektiven eröffnet. Natürlich spielen außerdem das Schulklima und die Schulumgebung eine große Rolle. Des Weiteren können ein autoritärer, restriktiver oder gar beleidigender Unterrichtsstil, aber auch ein Mangel an pädagogischer Konsequenz, Normverdeutlichung und Grenzziehung fördernd wirken.
Negative Gruppen- und Subkultureinflüsse, wie gewalttätige Freunde als reale Modelle, sozialer Druck, die allgemeine Perspektivlosigkeit sozialer Brennpunkte, mangelnde soziale Integration und letztlich auch mediale Einflüsse und Modelle, können als Auslöser von gewaltätigem Verhalten fungieren. Solch Gewaltverherrlichungen in Filmen oder Computerspielen reichen allerdings entgegen mancher Behauptungen und trotz ihrer weit verbreiteten Verteufelung keineswegs alleine aus, um Jugendliche in der Realität zu Gewalttätern zu machen. Sie können lediglich in Kombination mit anderen Bedingungsfaktoren zu einem Modelllernen führen.
Bedingungsfaktoren auf Opferseite – Umstände, die verletzbar machen
Eine allgemeine Neigung zur Angst, Depression und Minderwertigkeitsgefühlen sorgt für ein defensives Verhalten, welches einen Opfertypus kreiert. Gefördert werden kann dies noch zusätzlich durch eine restriktive Erziehung, Isolation in der Klassengemeinschaft beziehungsweise allgemein wenig Freundschaften. Somit wird deutlich, wie wichtig die elterliche Erziehung des Kindes hin zu einem selbstbewussten und sozial integrierten jungen Menschen ist. Die Bedingungsfaktoren für Täter- oder Opfererfahrungen mit Gewalt unterscheiden sich nur auf den ersten Blick. Letztlich sind Täter oftmals zugleich die Opfer anderer Täter oder werden es einmal. Der Weg vom gedemütigten Opfer zum aggressiven Täter ist kurz. Jugendgewalt entwickelt sich somit leicht zur Spirale, aus der herauszufinden mit der Zeit immer schwerer wird, weshalb die Hilfe einer unbeteiligten, außenstehenden Person ab einem gewissen Punkt unabdingbar wird.
Verschiedene Sinnperspektiven von Aggression
Es gilt zwischen verschiedenen Sinnperspektiven von Aggression zu unterscheiden:
- Explorative und spielerische Aggression treten schon im Kindesalter auf und sind positiv zu bewerten, da die Kinder hierbei ihr Revier erkunden, ihre Grenzen austesten und sich schlicht im Kräftemessen üben.
- Defensive Aggression ist lediglich die Folge aggressiven Verhaltens anderer.
- Lediglich die häufig in Kombination auftretende kontaktierende Aggression – ein Hilferuf nach Zuwendung – und destruktive Aggression aus Langeweile, als Druckausgleich oder aus Rache sind tatsächlich als Problem zu verstehen und zu bekämpfen.
Vier Modelle der Ursachenforschung für diese Formen der Aggression
Der Reader Aktiv gegen Gewalt stellt vier Modelle zur Ursachenforschung vor.
- Die Lerntheorie besagt, dass aggressives Verhalten wie jedes Verhalten durch Modelllernen übernommen wird. Hierbei spielen mediale und reale Vorbilder eine Rolle. Nachahmung tritt immer dann auf, wenn die Konsequenz des aggressiven Verhaltens bei der Vorbildperson positiv war.
- Schon Freuds Psychoanalyse beschäftigte sich mit diesem Thema. Dem bekannten Psychologen nach ist Aggression die Ableitung von Triebenergie über die Muskulatur auf die Außenwelt, wurzelnd in der angeborenen Neigung des Menschen zum Bösen. Der Mensch werde aggressiv, wenn er in seinem Luststreben gehemmt oder gekränkt wird. Fehlende moralische Sicherung wirke sich negativ aus, während soziale, sportliche und kulturelle Aktivität als Entschädigung für den Aggressionsverzicht dienen sollen.
- In der Instinkttheorie, welche aus der Verhaltensbiologie stammt, wird Aggression als angeborener und arterhaltender Instinkt verstanden. Die kontinuierlich erzeugte aggressive Energie staut sich bis zu einem gewissen Grad auf. Je höher dieser bereits ist, desto geringer kann der auslösende Reiz ausfallen, im Extremfall kann es sogar zu Leerlaufreaktionen kommen, worunter man eine Entladung ohne äußeren Anlass versteht.
- Die Frustrations-Aggressionstheorie besagt, dass Aggressionen aus Frustrationen entstehen, die sich wiederum durch Störungen oder Blockierungen zielgerichteter, menschlicher Aktivitäten bilden. Abhängig sind sie von Aggression fördernden Auslösern, wie unter anderem Provokationen. Es kann in solchen Fällen auch zu Verschiebungen kommen, sodass nicht die Frustrationsquelle, sondern ein gerade greifbares oder vermeintlich leichteres Opfer gewählt wird.
Aggressionen sind also ein multifaktorielles Wechselspiel verschiedener Ursachen. Es bleibt zu sagen, dass all die hier aufgeführten Aspekte lediglich Faktoren sind, welche die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Gewalt bei betroffenen Jugendlichen begünstigen und keineswegs zwingend dazu führen. Treten Kombinationen von mehreren Ursachen und Entstehungsbedingungen auf, potenziert sich durch ihr Zusammenwirken die Gefahr der Entstehung eines aggressiven Verhaltensmusters.