Discovering Hands – Tastuntersucherinnen spüren Tumore auf. Mit der Medizinischen Tastuntersucherin ist ein neuer Ausbildungsberuf kreiert worden. Blinde Frauen nutzen ihren verfeinerten Tastsinn und spüren Brustkrebs-Tumore auf.
Die Idee klingt verblüffend simpel. Blinde sind auf ihren Tastsinn stärker angewiesen als Sehende. Deshalb ist er bei ihnen auch erheblich verfeinert. Sie ertasten, was Sehende häufig übergehen. Warum also nicht diese Fähigkeit in der Brustkrebsvorsorge einsetzen? Und damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Eine gezieltere Krebsvorsorge und ein neues Arbeitsfeld für blinde Frauen.
Brustkrebs bei Frauen
Brustkrebs gilt als häufigste tödliche Krebserkrankung bei Frauen. Etwa jede achte Frau in Deutschland wird in ihrem Leben mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert. Ein Befund, der häufig genug zum Tod führt. Das muss aber nicht zwingend sein. Wird der Tumor rechtzeitig erkannt, sind die Heilungschancen gut. Während in Deutschland in den letzten Jahren viel für die Verbesserung der Behandlung getan wurde, sind die Rahmenbedingungen für eine Früherkennung von Mammakarzinomen eher schlechter geworden, erläutert der Gynäkologe Dr. med. Frank Hoffmann. „Wenn man die Sterblichkeit aber senken und die Heilungschancen erhöhen will, kommt es darauf an, Brustkrebs schon im Frühstadium zu erkennen. Deshalb ist unser Ansatz, die Tastuntersuchungsmethoden so zu verbessern, dass schon kleinstmögliche Tumore entdeckt werden können.“ 2006 hatte er die Idee, den häufig besonders gut ausgeprägten Tastsinn von Blinden für das Ertasten von Tumoren einzusetzen. „Ein Gynäkologe hat dazu bei der Vorsorge nur einige Minuten Zeit. Daher kam mir der Gedanke, dass man diese Untersuchung ausgliedern und weiter ausbauen könnte“, erklärt der Initiator des Modellprojekts „Discovering Hands“.
Discovering Hands – Hände, die sehen
Die Finger von Jeanette Wöllper gleiten über die linke Brust der Frau. Sie sucht die Brüste der Patientin nach Knoten und anderen Veränderungen ab. Dabei lässt sie sich Zeit. Bis zu 30 Minuten kann die Suche schon dauern. Zeige- und Mittelfinger kreisen drei Mal auf der Stelle. Erst dann rutschen sie einen Zentimeter weiter. Und das gleiche Ritual wiederholt sich. Diese Vorsorgeuntersuchung in einer gynäkologischen Praxis hat wenig mit herkömmlichen Untersuchungen gemein. Jeanette Wöllper ist nicht etwa Arzt, sondern Medizinische Tastuntersucherin (MTU). Und Frau Wöllper ist blind. Da der Tastsinn bei Blinden stärker ausgeprägt ist, können sie Veränderungen in der Brust früher spüren als ein sehender Frauenarzt. Jeanette Wöllper war von klein auf sehbehindert. Seit zehn Jahren ist sie blind. Ihren Tastsinn hat sie besonders stark ausgeprägt. Sechs Monate lernte sie im Berufsbildungswerk Düren die Theorie: Wie ist die weibliche Brust aufgebaut? Wie nehme ich der Patientin ihre Angst vor der Untersuchung? Und immer wieder das Tasten. Begonnen hat sie mit Schaumstoffmatten. Danach übte sie an Brüsten aus Silikon – in die wurden unterschiedliche Veränderungen eingesetzt. „Das war ganz schön hart. Da taten einem am Abend schon die Finger weh“, erzählt Jeanette Wöllper. Wie aber können Blinde Knoten lokalisieren, damit der Arzt danach weiß, wo er zu suchen hat? In ihrer Ausbildung wurde hierfür eine Matte entwickelt. Zwei senkrechte Zonen werden darauf abgeteilt. Orientierungsstreifen helfen Jeanette Wöllper ein Koordinatensystem daraus zu schaffen. So kann die MTU eventuelle Karzinome exakt orten, sie wiederfinden und den Befund dokumentieren. Ein System, dass die vollständige Gewebedurchmusterung der Brust sichert.
Krankenkasse zahlt oder zahlt nicht?
Bisher war Discovering Hands ein Pilotprojekt. Und in den Praxen wird der Einsatz der Medizinischen Tastuntersucherinnen als großer Erfolg gewertet. Denn es hat sich gezeigt, dass das Auffinden von Veränderungen im Brustgewebe der MTU mindestens genauso gut – oft besser – gelingt als einem ausgebildeten Mediziner. Die Patientinnen empfinden die Untersuchung der MTU als angenehmer. Kein Wunder, sie nehmen sich erheblich mehr Zeit und gehen persönlich viel stärker auf die verängstigten Frauen ein als es der Arzt kann. Inzwischen gibt es etwa acht gynäkologische Praxen, in denen die medizinische Tastuntersuchung durchgeführt wird. Ca. 30 Euro kostet sie, denn die meisten Krankenkassen übernehmen die Kosten nicht. Das mag auch daran liegen, dass die Untersuchung noch zu unbekannt ist. Mit jeder Nachfrage bei den Kassen steigt allerdings deren Bereitschaft, sich finanziell zu beteiligen. Als erste Krankenkasse hat sich die BKK Mobil Oil dazu bereit erklärt.