Dank fortgeschrittener Technologien werden Tumore sehr früh erkannt und auch entsprechend behandelt. Das aber ist nicht immer notwendig. So die neuesten Erkenntnisse.
Ein überraschendes „Kehrt-Schwenk-Marsch“ hat die weltweit angesehene amerikanische Krebsgesellschaft (American Cancer Society) vollzogen. Bis jetzt predigte sie regelrecht für eine regelmäßige Krebsvorsorge und eine entsprechende Behandlung auch bei den geringsten Anzeichen für das Vorhandensein eines Tumors – jetzt ist da vieles anders, zumindest was Brust- und Prostatakrebs betrifft.
Behandlung war überflüssig
Weltweit wird – und das seit Jahrzehnten – die regelmäßige Krebsuntersuchung empfohlen. Da die Methoden dafür immer besser geworden sind, wurden mehr und mehr Krebserkrankungen sehr frühzeitig entdeckt und natürlich auch behandelt. Auf die verfeinerten medizinischen Techniken ist zurückzuführen, dass Brustkrebs-Entdeckungen um 40 Prozent zugenommen haben und dass sich die Zahl der Tumore, die in frühestem Stadium diagnostiziert wurden, nahezu verdoppelte. Ähnlich sieht die Statistik bei Prostatakrebs aus. Aber, so die neueste Erkenntnis: Die Zahl der Todesfälle ist keineswegs im entsprechenden Maße gestiegen. Da wurden also Tumore entdeckt, die vielleicht nicht gerade harmlos, aber doch so geartet waren, dass eine Behandlung überflüssig war.
Unschädliche Tumore als gefährlich deklariert
Dr. Otis Brawley von der US-Krebsgesellschaft stellt dazu fest: „Wir haben bisher übertrieben, wenn wir die Vorteile der Krebsvorsorge anpriesen. Das muss ich zugeben. In den letzten 35 bis 40 Jahren waren wir darauf bedacht, Krebs immer frühzeitiger entdecken zu können, aber wir haben uns nie bemüht, auch zu fragen, ob denn jeder dieser Tumore auch behandelt werden muss“. Dr. Barnett Kramer vom US-Gesundheitsinstitut (National Institutes of Health) geht noch weiter: „Nach Einführung moderner Diagnosetechniken kam es zur Überdiagnose – da wurden unschädliche Tumore entdeckt und als schädliche behandelt, obwohl die gar nicht gefährlich waren“.
Öffentlichkeit hinsichtlich Krebsfürsorge verunsichert
Dr. Brawley veröffentlichte die neuen Erkenntnisse im „Journal of the American Medical Association“, und die amerikanische Krebsgesellschaft arbeitet an einer entsprechenden Analyse – wahrscheinlich einschließlich genauerer Statistiken -, die sie im kommenden Jahr auf ihrer Webseite veröffentlichen will. Auch die „New York Times“ hat sich der Problematik angenommen und schreibt dazu: „Die Vorstellung, dass einige Krebsarten ungefährlich sind und einige davon sogar von sich aus verschwinden, ist für einige Wissenschaftler nur schwer zu verdauen“. Dr. Colin Begg vom New Yorker Sloan Kettering Cancer Center befürchtet, dass die neuen Diskussionen über Krebsvorsorge „die Öffentlichkeit verunsichern“ und dazu führen können, „dass die Leute vor allem auf die Mammographie verzichten“.
Hoffnung auf bessere Techniken der Vorsorge
„Man kann diese Neuigkeiten kaum akzeptieren“, urteilt der Urologe Dr. Peter Albertsen von der University of Connecticut, und Dr. Laura Esserman, Radiologin und Chirurgin an der University of California in San Francisco „hofft, dass Vorsorgetechniken verbessert werden können, um ungefährliche von gefährlichen Tumoren besser unterscheiden zu können“.
Trotz der neuen Erkenntnisse wird Frauen über 40 auch weiterhin eine jährliche Mammographie empfohlen. „Krebs ist schließlich eine komplizierte Krankheit“, meint Dr. Brawley. Männer sollten Risiken und Vorteile einer regelmäßigen Vorsorge mit ihrem Arzt besprechen, so die weitere Empfehlung.
Sogenanntes Überdiagnostizieren bleibt für die Wissenschaftler ein Problem, auch angesichts dieser neuen Zahlen: Von 100 Frauen, bei denen Krebs festgestellt wurde, haben 30 langsam wachsende Tumore, die als nicht lebensbedrohend eingestuft werden. Von 100 Männern mit Prostata-Diagnose weisen 70 Tumore auf, die nicht behandelt werden müssen.