Die Missionare des positiven Denkens suggerieren, dass wir mit der Kraft der Gedanken unser Unterbewußtsein beeinflussen können. Das ist zu simpel, um zu funktionieren.
Erfolg, Glück, Reichtum und immerwährende Harmonie, so lauten die Schlagworte, mit denen die Vertreter des Positiven Denkens ihre Anhänger ködern. Der Psychotherapeut Dr. Günther Scheich weiß da anderes zu berichten: Er kam in seiner Praxis mit zahlreichen Patienten in Berührung, die die harte Schule des „positiven Denkens“ durchlaufen hatten. Sie alle suchten ihn als Opfer auf – der maßlose Glücksanspruch in Verbindung mit hohem Erfolgsdruck hatte Versagensängste geschürt, Verdrängungsmechanismen verstärkt und neue Konlifkte hervorgerufen. Denn statt realitätsbezogener Skepsis setzt das „Positive Denken“ auf einfache Heilsversprechungen – denk dir eine schöne Welt herbei und schon ist sie da…..
Irreale Zielvorgaben: Das Paradies auf Erden
Vermessenerweise verkaufen sich die Glaubensvertreter des „Postiven Denkens“ unter dem Label „Therapie“ , mögen sie nun Joseph Murphy, Norman Vincent Peale, Dale Carnegie oder Erhard F. Freitag heißen. Und sie alle haben etwas gemeinsam: Sie versprechen das Paradies auf Erden, sofern wir unsere Gedanken nur richtig, das heißt positiv, einsetzen.
Nun ist aber das Paradies auf Erden ein recht irreales Ziel, das jeder vernünftigen Einschätzung zuwiderläuft. Doch die Erfolgsquote der zahllosen Ratgeberbücher gibt den Autoren des Positiven Gedanken-Wahns recht: Ein tiefes Bedürfnis nach Urgeborgenheit, paradiesischer Überfülle und Glück lebt wohl in jedem von uns. Tatsächlich ist jedoch der Wunsch nach solch einem Schlaraffenland meist in Krisenzeiten virulent, Situationen also, in denen Menschen gerne nach einfachen Lösungswegen greifen. Die in zahllosen Bestsellern verkaufte Suggestion, die Welt würde sich allein kraft der Gedanken mit einem Zauberschnipp in ein Eldorado erfüllbarer Träume verwandeln, besticht vor allem dann, wenn man des Trostes bedarf.
Doch das Lebenskonzept dieser „Anything goes“-Missionare ist höchst unreif, da es wesentliche Faktoren des menschlichen Daseins ausser acht lässt. Entwicklung zeichnet sich ja auch dadurch aus, daß man in der Lage ist, mit Frustrationen umzugehen, Enttäuschungen zu verarbeiten. Dagegen versteht die Lehre des „Positiven Denkens“ die Welt gewissermaßen als ewige Mutterbrust, die unerschöpflich Nahrung (= Reichtum), produziert. Und dies soll allein über die Kraft der Gedanken funktionieren.
Der Kosmos und das Unbewußte: A priori gut?
Tut es aber nicht. Denn die Vertreter dieser Glaubensrichtung gehen davon aus, daß der „Kosmos“, „Gott“ oder das „Göttliche Universum“ a priori „gut“ seien – eine infantile Projektionsverschiebung des „lieben Gottes“, der alle seine Geschöpfe mit allen Gaben des Himmels überschüttet. Allerdings nur, wenn man daran auch glaubt und diesen Glauben durch ständiges Wiederholen, gleichsam mantraartig, seinem Unterbewußtsein einhämmert. Dies Unterbewußtsein nämlich ist laut Positivem Denken einerseits ein simpler Computer, in den man nur die richtige software eingeben muß (also nur positive Gedanken), andererseits eine Art Füllhorn, das in seinem mystischen „Urgrund“ einen unermeßlichen Schatz an Weisheit birgt.
Abgesehen davon, daß sich die Positiv-Denker hier selbst widersprechen (ein Unterbewußtsein voller Weisheit muß man nicht mit positiven Glaubenssätzen behämmern!), ist es schon eine unerhörte Chuzpe, mit der Murphy und Co ihr Halbwissen an den Mann bringen. Denn in ihrer kühnen Interpretation des Unbewußten berücksichtigen sie weder die wissenschaftliche Forschung noch die Tatsache, daß das Unbewußte eben genau so nicht funktioniert. Eine Autosuggestion fällt, wenn überhaupt, nur auf fruchtbaren Boden, wenn verschiedene andere Komponenten mit einbezogen sind. Gefühl, Erfahrung und Überzeugung müssen dahinterstehen – Wille und Unbewußtes stehen in sehr komplexem und oft nur in mühseliger therapeutischer Arbeit zu entflechtendem Zusammenhang.
Gefährliche Versprechungen
Diese Arbeit klammern die Selbsthilferatgeber des Positiven Denkens aus. Sie versprechen einfache und klare Lösungswege, ein „Cogito ergo sum“ , das praktisch jede Bedingtheit ausklammert und dem Denken eine Art Allmachtstellung verleiht. Und sie gehen sogar noch weiter: Nicht nur momentane Konfliktsituationen können kraft positiver Gedanken entschärft, das heißt verdrängt werden. Sondern auch Krankheiten und schwere psychische Störungen lassen sich durch das Universalprinzip „Think positive“ heilen. So sollen Depressionen mittels stärkender Glaubenssätze binnen kürzester Zeit verschwinden. Selbst Diabetes, so der deutsche Prophet Freitag, lässt sich kraft Glauben kurieren – einzig aufgrund einer „positiven Programmierung“ des Unterbewußtseins. Und hier, so der Psychotherapeut Günther Scheich, fängt der tatsächlich gefährliche Bereich an. „Eine pseudowissenschaftliche Verdrängungsmethode“ , so nennt er die Diktatur der guten Gefühle. Doch das Leben belegt (und seine Patientenbeispiele auch): Den Drachen wächst der Kopf nach. Was vorschnell in Harmonie aufgelöst, kehrt doppelt schlimm wieder.
Das sehr lesenswerte Buch „Positves Denken macht krank“ von Dr. Günter Scheich ist leider vergriffen, jedoch in verschiedenen Internet-Buchhandlungen erhältlich.