Das Symptom Durchfall ist in Deutschland ein häufiges Krankheitssymptom verschiedener Magen-Darm-Erkrankungen, etwa ein Drittel der Deutschen lässt jedes Jahr den Durchfall (Diarrhöe) durchfallen: Während die meisten durch Noroviren und Rotaviren verursachten akuten Durchfälle nach etwa drei Tagen als selbst limitierende Erkrankung spontan ausheilen, leiden über 300.000 Menschen in Deutschland an chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) wie Colitis ulcerosa, mikroskopische Colitis und Morbus Crohn – manche Patienten leiden ihr ganzes Leben lang unter ständig wiederkehrenden kolikartigen Bauchschmerzen, Durchfällen und heftigen Krämpfen. Die Krankheitsursachen von CED sind weitgehend unbekannt, doch nun bringt die Doktorarbeit der Diplom-Biologin Claudia Günther Licht in das Dunkel des deutschen Darms. Das zelluläre Selbstmord-Enzym Caspase-8 spielt anscheinend eine wichtige Rolle bei der Entstehung von CED – Professor Dr. Christoph Becker von der Medizinischen Klinik 1 in Erlangen erklärte dazu am 15. September 2011: „Die Entdeckung, dass Panethzellen im Darm aufgrund von Nekroptose absterben, ist ein wichtiger Schritt zum Verständnis der Entstehung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen.“
Sogar Säuglinge erkranken an Morbus Crohn
Morbus Crohn (M. Crohn) gehört neben der Colitis ulcerosa zu den wichtigsten CED, mehr als 5 Patienten pro 100.000 Einwohner leiden in Deutschland an der Magen-Darm-Erkrankung: Bei knapp einem Viertel der Betroffenen treten die ersten Krankheitssymptome vor dem 20. Lebensjahr auf. Nicht nur Kinder und Jugendliche erkranken, sogar Säuglinge können an Morbus Crohn leiden. Bisher ist Morbus Crohn nicht heilbar, mit Ernährungstherapie, medikamentöser Therapie oder chirurgischen Eingriffen lässt sich bisher lediglich die Aktivität der chronischen Entzündung beeinflussen. Deshalb forschen Wissenschaftler weltweit an den molekularen Mechanismen der chronischen Darmerkrankungen.
Darmzellen begehen durch Apoptose und Nekroptose Selbstmord
Unser Körper besteht aus einer Vielzahl verschiedener Zellen, deren Zellzahl streng reguliert werden muss: Dazu gibt es den so genannten programmierten Zelltod durch Apoptose und Nekroptose, hier spielt eine Familie von Biokatalysatoren (Enzymen) namens Caspase eine wichtige Rolle. Gastroenterologe Prof. Becker erläutert: „Im Mittelpunkt unserer Arbeiten stand das Enzym Caspase-8. Am experimentellen Modell und an betroffenen Patienten haben wir die Rolle untersucht, die dieses Enzym bei der Entstehung entzündlicher Darmerkrankungen spielt.“ Caspase-8 reguliert mit dem „Selbstmordprogrammen“ Apoptose und Nekroptose die Zellzahl im Darmepithel unseres Körpers – so können alternde oder geschädigte Darmzellen zugrunde gehen, ohne andere Darmzellen zu schädigen.
Darmzellen ohne Caspase-8 begehen noch schneller Selbstmord
Diplom-Biologin Claudia Günther schreibt ihre Doktorarbeit an der Medizinischen Klinik, sie erklärt ihren selbstmörderischen Versuchsansatz: „Ist in den Epithelzellen Caspase-8 nicht ausreichend vorhanden oder die Funktion des Proteins gestört, müsste das dazu führen, dass die Zellen im Darm länger leben – so unsere Ausgangsüberlegung.“ Zur großen Überraschung der Forscher beging diese Arbeitshypothese Selbstmord, das Gegenteil trat ein: Gerade Epithelzellen ohne Caspase-8 waren besonders anfällig für den programmierten Zelltod. Das fehlende Enzym verstärkte das vorzeitige Absterben von Darmzellen. Im Tiermodell zeigten die Wissenschaftler dies an Mäusen mit einem genetischen Fehler in der Erbinformation: Die Casp8ΔIEC-Mäuse zeigten in so genannten Panethzellen eine höhere Selbstmordrate. Sowohl bei Maus und Menschen mit Morbus Crohn fanden die Forscher eine erhöhte Konzentrationen von RIP3 in den Panethzellen – RIP3 oder Receptor-Interacting Protein 3 löst den programmierten Zelltod durch Nekroptose aus.
Panethzellen produzieren antimikrobielle Peptide
Die selbstmörderische Panne der Panethzellen könnte eine der Krankheitsursachen von CED sein, denn Panethzellen produzieren als spezialisierte Darmepithelzellen antimikrobielle Peptide wie Defensine, diese Defensine halten Bakterien in Schach und können Bakterien sogar abtöten. Defensine zur Abwehr von Bakterien im Darm speichern die Panethzellen in Vesikeln (siehe Abbildung, schwarze kreisförmige Strukturen). Claudia Günther erklärt: „Fehlen diese Zellen, so können Bakterien in die Darmwand eindringen und Entzündungsreaktionen wie bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen auslösen.“ Durch den gesteigerten Zelltod werden Lücken in die Epithelschicht des Darmes gerissen. Die Abwehrfunktion der Panethzellen soll die Darmschleimhaut und die Darmwand eigentlich vor dem Eindringen schädlicher Bakterien schützen.
Die selbstmörderischen Darmzellen sterben durch Nekroptose
Da die selbstmörderischen Darmzellen besonders viel RIP3 produzierten, zeigten sie völlig andere Eigenschaften als Epithelzellen, die durch Apoptose in den Selbstmord getrieben werden. Prof. Becker erklärt: „Die in unseren Experimenten beobachteten Zellen starben an Nekroptose, einer erst kürzlich entdeckten Form von Zelltod, den wir nun erstmals im Darm von Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen nachweisen konnten.“ Da nun die Zellprozesse für chronische Darmerkrankungen wie Morbus Crohn besser bekannt sind, hoffen Prof. Becker und seine Arbeitsgruppe neue Therapiemethoden für Patienten entwickeln zu können.