Männer erleben Depressionen meist anders als Frauen. Aggressivität, Substanzmissbrauch und emotionaler Rückzug können beim Mann auf eine depressive Erkrankung hindeuten. Häufig ist diese mit Potenzproblemen verbunden.
Auch wenn die Depression lange Zeit als „Frauenkrankheit“ apostrophiert war, so zeigen die Ergebnisse epidemiologischer Studien mittlerweile deutlich, dass Frauen und Männer etwa gleich häufig von Depressionen betroffen sind. Allerdings präsentieren sich Männer häufig mit völlig anderen Symptomen als Frauen, was die korrekte Diagnose erschweren kann.
„Wenn etwa ein Mann, der bislang als eher ruhig beschrieben wurde, plötzlich wegen jeder Kleinigkeit extrem wütend wird, so kann dies – in der Zusammenschau mit anderen Symptomen wie Müdigkeit, Konzentrationsschwächen und Lustlosigkeit, durchaus auf eine Depression hindeuten“, erläutert Prim. Prof. Dr. Christian Simhandl, Vorstand der Abteilung für Sozialpsychiatrie am Krankenhaus Neunkirchen.
Angst vor der Psyche
Leidet ein Mann unter Depressionen, so sucht er erstens meist zuerst den Hausarzt und nicht den Facharzt für Psychiatrie auf und gibt zweitens in erster Linie somatische Beschwerden, wie Kopf- und Rückenschmerzen, Müdigkeit und Konzentrationsprobleme an. Psychische Probleme gelten in vielen Fällen immer noch als „unmännlich“. Erst ein ausführliches Arzt-Patienten-Gespräch kann klären, ob eine psychische Störung vorliegen könnte. „In der Exploration sollte der Hausarzt hier auch unbedingt die Frage nach der Beziehung zur Partnerin stellen“, so Simhandl. „Wird mehr als vor zwei Monaten gestritten? Wie gestaltet sich die sexuelle Beziehung?“ sind Fragen, die in einem solchen Arzt-Patienten-Gespräch gestellt werden sollten. Denn sexuelle Unlust ist ebenfalls ein Symptom von Depression.
Druck wegnehmen
Im Gespräch mit dem betroffenen Patienten sollte gerade diese Problematik thematisiert und in den richtigen Kontext gestellt werden: „Sexuelle Probleme treten bei fast jedem Menschen im Laufe seines Lebens ein- oder mehrmals auf. Sie sind aber in vielen Fällen auch wieder reversibel“, sagt etwa der Urologe und erste Oberarzt an der Abteilung für Urologie am Wiener Donauspital, Doz. Dr. Stephan Madersbacher. Die Entscheidung für eine medikamentöse Intervention zur Behandlung der Depression sollte eine sexuelle Komorbidität jedenfalls berücksichtigen.
Ziele vereinbaren
Dazu gehört allerdings auch die Krankheitseinsicht des Patienten: „Wir können eine Depression nur dann adäquat behandeln, wenn dem Betroffenen klar ist, worunter er leidet und wie er diese Erkrankung angehen kann“, hält Simhandl fest. Am Beginn jeder lege artis-Therapie steht dabei – abgesehen von einer exakten Erläuterung des Krankheitsbildes – die Festlegung von Behandlungszielen: „Das kann eine Abnahme der Aggression sein, aber ebenso die regelmäßige Einnahme von Antidepressiva“, so Simhandl weiter.
Gespräche und Medikamente
Der sexuellen Problematik ist auch in der medikamentösen Behandlung der Depression Augenmerk zu schenken: „Ein Rückgang oder Verlust der Libido kann sowohl ein Zeichen der Depression als auch eine Nebenwirkung bestimmter Medikamente sein“, sagt Simhandl. „Es ist daher wichtig, dass sich der Patient selbst genau beobachtet und ein Medikament verordnet wird, dass möglichst nicht zu einer sexuellen Funktionsbeeinträchtigung führt.“ Antidepressiva, die kaum sexuelle Nebenwirkungen aufweisen sind etwa selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer. Regelmäßige therapeutische Gespräche, in denen auch die Behandlungsziele besprochen und nötigenfalls verändert werden sollten die medikamentöse Behandlung ergänzen.
Sedierung vermeiden
Bei depressiven Männern, die berufstätig sind, ist besonders darauf zu achten, dass das eingesetzte Medikament möglichst keine müde machende Wirkung aufweist und sich Konzentrationsprobleme rasch verbessern. Was dabei allerdings nicht vergessen werden sollte, mahnt Simhandl, sei allerdings, dass die Mehrzahl der Nebenwirkungen vorübergehend auftritt und im Laufe der medikamentösen Behandlung verschwindet. Dies gilt auch für sexuelle Unlust.
Druck sollten sich die Patienten jedenfalls keinesfalls machen: „Hier gilt es, wenn möglich, die Partnerin in das therapeutische Setting mit ein zu beziehen und zu besprechen, wie Sexualität auch abseits des Geschlechtsverkehrs lebbar gemacht werden kann“, sagt Simhandl und findet dabei die Zustimmung seines Kollegen aus der Urologie, Stephan Madersbacher. Bleiben Libidoverlust und Potenzprobleme allerdings über längere Zeit auch unter medikamentöser Depressionsbehandlung bestehen, sollte zuerst auf ein anderes Antidepressivum umgestellt werden. „Ist auch eine solche Vorgehensweise nicht zielführend, kann unter urologischer Kontrolle, auch die Gabe eines PDE5-Hemmers überlegt werden“, sagt Madersbacher.
Unterstützung im Alltag
Lebt der Betroffene in einer stabilen Beziehung, ist immer auch die Partnerin in eine solche Entscheidung miteinzubeziehen. Dies gilt auch für andere Aspekte der Depression und ihrer Behandlung: „Partnerin und Familienmitglieder können eine wertvolle Unterstützung für den betroffenen Patienten bieten“, erläutert Simhandl. „Ein gemeinsames Gespräch mit dem behandelnden Arzt kann zudem viel Druck aus der Familie nehmen und Schuldgefühle reduzieren.“ Depression ist eine Erkrankung des Gehirns und nicht eine, die auf Beziehungsproblemen beruht. „Diese Feststellung kann die Dynamik in einer Familie verändern, sodass ein unterstützendes ,Miteinander‘ möglich wird“, hält Simhandl fest.
Lebensbegleitendes Konzept
Neben der aktuellen Problematik ist in der Depressionsbehandlung immer auch die Langzeitperspektive im Auge zu behalten: „Depressionen sind nicht selten lebensbegleitende Erkrankungen, die auch eine lebensbegleitende Therapie erfordern“, so Simhandl. „Das bedeutet nicht nur die sorgfältige Medikamentenauswahl, sondern auch die unterstützende Begleitung durch den behandelnden Arzt.“ Im optimalen Fall kann der Betroffene dann ein weitgehend normales Leben führen, seine Beziehungen pflegen und einer geregelten Arbeit nachgehen.