Dissoziative Störungen – Spezialfall DIS

Wie entstehen dissoziative störungen? Wenn sich das Bewusstsein in verschiedene Einheiten aufspaltet. Wenn eine meist Trauma bedingte Dissoziation aus einem Menschen zwei (oder mehrere) verschiedene macht: Die Dissoziative Identitätsstörung, Realität oder Fehldiagnose?

Die seltenen dissoziativen Störungen belegen im ICD10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) Version 2006 die dreistellige Kodierung zwischen F44.0 und F44.9. Sie beschreiben Störungen der Integrität des Bewusstseins – verbunden mit einem partiellen oder völligen Gedächtnisverlust – infolge einer mehr oder minder traumatischen oder besonders stressreichen Erfahrung (oder mehreren), die so teils verdrängt werden kann (können).

Symptome der dissoziativen Störungen

Betroffene spalten ihre traumatischen Erinnerungen, Gedanken und Gefühle von ihrem Bewusstsein ab und empfinden ihre schmerzhaften vergangenen Eindrücke oft nicht mehr als Teil ihrer eigenen Lebensgeschichte bzw. sie vergessen diese völlig. Diese Störung kann sich sowohl langsam entwickeln als auch abrupt eintreten. Symptome sind oft beispielsweise eine partielle Amnesie über eine bestimmte Lebensspanne, ein Fremdgefühl des eigenen Körpers, eine aufkommende Desorientiertheit, ein Verlust des Zeitgefühls oder/und eine veränderte Wahrnehmung der Umwelt. Doch auch körperliche Symptome wie etwa motorische Störungen treten häufig auf. All dies kann – muss aber nicht zwingend – kontinuierlich auftreten oder kann sich innerhalb einzelner Tagesabschnitte ändern und an Intensität gewinnen oder verlieren.

Interpretation

Dissoziative Störungen könnte man als Abwehrmechanismus der Psyche verstehen, welcher ermöglichen soll, dass ein Betroffener nicht an seinen traumatischen Erinnerungen innerlich zerbricht, sondern diese fern von sich betrachtet oder sich nicht unmittelbar an sie erinnert.

Biologisch gesehen könnte dies als eine reine Überlebenstechnik wie sie etwa auch in anderer Form im Tierreich auftritt, interpretiert werden. In geringem Maße hat der eine oder andere sicherlich schon mal das Gefühl gehabt, „nicht er selbst gewesen zu sein“ oder eben „außer sich zu sein„. Emotional aufwühlende negative Ereignisse veranlassen den Menschen oftmals zu dissoziieren, doch spricht man erst dann von einer dissoziativen Störung, wenn diese Ereignisse besonders schwerwiegend sind und die entsprechenden Symptome über einen längeren Zeitraum öfters auftreten.

Die extremste dissoziative Störung DIS ist nicht mit Schizophrenie zu verwechseln

Bei DIS, der dissoziativen Identitätsstörung ( F44.81 im ICD-10 Version 2006) handelt es sich um das Krankheitsbild, welches oft im Volksmund fälschlicherweise als Schizophrenie bezeichnet wird. In den Medien wird Schizophrenie oft mit einer gespaltenen Persönlichkeit gleichgesetzt, zahlreiche Impulse sorgen für eine Fehlauffassung beider psyschischen Störungen. Darum sei hier zur korrekten Unterscheidung kurz skizziert, was Schizophrenie ist. Während dissoziative Störungen eher selten auftreten, so zählt Schizophrenie zu den am häufigsten gestellten Diagnosen in der stationären Psychatrie.

Denkstörungen, Wahnvorstellungen wie u.a. Verfolgungswahn, Halluzinationen wie etwa die Wahrnehmung von nicht existierenden Stimmen, Gedankeneingebung, Gedankenlautwerden für die positive Symptomatik sowie Affektverflachung, motorische und kognitive Defizite als negative Symptome, sind kennzeichnend für Schizophrenie. DIS hingegen umfasst die Aufspaltung der Identität einer Person in zwei oder mehrere voneinander getrennte Entitäten (Seinsformen), die sich abwechseln in der Kontrolle des Verhaltens. Wichtig ist, dass sich hierbei eine einzelne Entität kaum bis gar nicht an die andere(n) erinnert.

Dissoziative Identitätsstörung in der Öffentlichkeit

In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde diese Diagnose am häufigsten gestellt. Zwar waren Krankheitsbilder mit ähnlichen Symptomen schon im 19. Jahrhundert in Europa aufgetreten, doch an die Öffentlichkeit geriet dies überwiegend vor ca. 30 Jahren. Daraufhin folgte eine Welle von DIS-Diagnosen, die viele Wissenschaftler und Psychologen sehr skeptisch betrachteten. Es konnte in Nordamerika nahezu von einer DIS-Epidemie gesprochen werden, da immer mehr Psychologen diese Diagnose stellten. Zudem wurden Kritiker wie z.B. Elaine Showalter lauter und warnten, es handle sich bloß um eine moderne Form der Hysterie und den Patienten würde durch irreführende psychotherapeutische Gespräche DIS suggeriert.

Missbrauch der Diagnose DIS

Kritik wurde auch oft geäußert, weil sich durch DIS verschiedene Fälle von Missbrauch ableiten ließen. Beispielsweise könnten Kriminelle sich eine solche Diagnose bewusst zu Nutzen machen. Darüber hinaus kam es zu einer Welle von scheinbaren Aufdeckungen von Sexualdelikten an Patienten als diese im Alter von 2 oder 3 Jahre waren, welche auf Erinnerungen basierten, die sie im Laufe einer Therapie oft durch Hypnose mit dem Therapeuten neu „entdeckt“ hatten. Die Psychologin Elisabeth Lotfus nennt dies „Falsche Erinnerungen“ ohne reellen Anlass, welche innerhalb einer Therapie durch Suggestion hervorgerufen werden. Manche Kritiker sprechen außerdem von mentaler Manipulation in der Therapie.

Ist DIS bloß ein unbegründeter Trend der psychologischen Diagnostik gewesen?

Heute ist die Zahl der DIS-Diagnosen wieder etwas gesunken. Der rasche Anstieg der gestellten Diagnosen in den 1980er Jahren sowie die erwähnten Formen des Missbrauchs scheinen die Wahrhaftigkeit der multiplen Persönlichkeitsstörung sehr in Frage zu stellen, doch Fakt ist , dass die Symptomatik eines „Persönlichkeitswechsels“ und einige Hirn-physiologische Veränderungen in Korrelation zueinander stehen (Putnam Frank: Recent research on multiple personality disorder. Psychatric Clinics of North America, 1991.). Z.B eine Umstellung der Sehschärfe, der Augenkoordination sowie sogar der Händigkeit (!) wurde bei Patienten beobachtet als diese von einer Persönlichkeit zu einer anderen wechselten.

Inwiefern dies aussagekräftig genug ist bleibt weiterhin offen.

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