Der Tod eines jeden Angehörigen ist schwer. Stirbt ein Kind, zerreißen Herzen und Familien. Wie können sie sich stützen? Wo finden sie Hilfen?
Es ist passiert. Das, was nie passieren sollte, an das nie gedacht wird, was verdrängt wird. Ein Kind ist gestorben. Ein Unfall, eine Krankheit, plötzlicher Kindstod. Die gesamte Familie, Eltern, Geschwister und Großeltern stehen vor einem großen Nichts. Niemand versteht das Warum. Keiner weiß, wie es weitergehen soll. Anders als beim Tod eines älteren Menschen, fehlen hier sämtliche Selbsttröstungsfunktionen. Kein „Er hatte ein schönes langes Leben“, „Er ist so friedlich eingeschlafen“ oder „Nun muss er nicht mehr leiden“. All das hat beim Tod eines Kindes keine Bedeutung. Aber nicht nur der enge Familienkreis verstummt. Angehörige, Freunde, Nachbarn und Kollegen ziehen sich meist zurück. Sie stehen dem Geschehen ebenfalls völlig hilflos gegenüber. Wissen nicht, sollen sie die Familie ansprechen oder nicht. Und wenn ja, was sollen sie sagen? Wie können sie Trost spenden? Dieser Rückzug bedeutet für die Trauerfamilie oft einen weiteren Schritt in eine ungewollte Isolation.
Die ersten Tage – Eine Familie wird langsam stumm
In den ersten Tagen nach dem Tod eines Kindes, dann, wenn der normale Alltag zum Stillstand gekommen ist, besteht noch eine kleine Regung durch die Erledigung der notwendigen Formalitäten zu Trauerfeier und Beerdigung. Meist entscheidet hier die Mutter, wie der Ablauf geschehen soll. Sie hat zu Lebzeiten immer alles für ihr Kind getan, also tut sie es auch jetzt. Vater und Geschwister werden oft ungewollt davon ausgegrenzt. Wird der Vater bei dem einen oder anderen Detail noch um Hilfe gebeten, sind die Geschwister häufig völlig außen vor. Vermeintlich um sie zu schützen, werden die Bestattungsformalitäten nicht vor ihren Ohren besprochen. Selbst Tränen werden oft hastig weggewischt und ein Lächeln vorgetäuscht, wenn sie das Zimmer betreten. Doch Kinder sind sensibel und spüren das Ungleichgewicht innerhalb der Familie. Die Eltern sprechen weniger miteinander und auch weniger mit den Kindern. Über das gestorbene Kind wird vor den Ohren der Kinder meist gar nicht gesprochen. Nun sprechen die Kinder auch nicht mehr.
Nach der Beerdigung – Das Leben geht weiter?
Ja, das Leben geht weiter – aber es quält. Morgens gehen die Kinder in den Kindergarten oder zur Schule, der Vater geht zur Arbeit, die Mutter ist zu Hause oder geht auch zur Arbeit. Alles normal, oder? Nein, nichts ist normal. Die Kinder fallen im Kindergarten und in der Schule entweder durch völlige Abkapselung oder durch plötzliche Aggressivität auf. Sie haben in den vergangenen Tagen zu Hause „gelernt“, dass sie über das Geschehene nicht sprechen können. Das macht sich nun nach Außen hin bemerkbar. Der Vater entwickelt ähnliche Verhaltensauffälligkeiten. Entweder stürzt er sich übereifrig in seine Arbeit und macht den Mitarbeitern durch seinen Arbeitseifer und seine Körpersprache klar, dass er nicht angesprochen werden will. Oder er sitzt seine Arbeitszeit lethargisch ab, macht Fehler und reagiert aggressiv auf Hilfsangebote. Die Mutter sitzt, wenn sie nicht arbeiten geht, oft stundenlang tatenlos herum. Früher verbrachte sie ihre Vormittage mit Hausarbeiten, um am Nachmittag Zeit für die Kinder zu haben. Der Haushalt wird unwichtig und Unternehmungen am Nachmittag mit den Geschwisterkindern finden nicht mehr statt.
Sprachlosigkeit
In dieser Phase ist die Familie fast gar nicht in der Lage, selbsttätig etwas an ihrer Situation zu ändern. In den ersten Wochen mag das nach dem Schock durch den Tod eines Kindes noch normal erscheinen. Doch die Gefahren für alle Familienmitglieder sind gerade in dieser Lage recht groß. Es können sich Depressionen einstellen, bei den Kindern können sich Verhaltensauffälligkeiten festigen, es kann sogar die Familie zerbrechen. Die Gefahr entsteht durch die Sprachlosigkeit. Diese findet nicht nur innerhalb der Familie statt. Enge Familienangehörige und Freunde unterhalten sich zwar untereinander über das verstorbene Kind und die Familie, aber sie trauen sich nicht, mit der Familie selbst zu reden.
Raus aus der Isolation
Da die betroffene Familie selbst kaum in der Verfassung ist, den Weg aus der Isolation zu finden, sind viele verschiedene Hilfen von außen erforderlich. Für die Geschwisterkinder können Kindergarten und Schule sehr viel tun, indem dort das Thema Tod kindgerecht besprochen wird. So erleben Kinder, dass Tod kein Tabuthema ist. Lehrer und Erzieher können das Thema so lenken, dass es seinen Schrecken verliert. Für Kinder kann es zum Beispiel sehr beruhigend sein, zu hören, dass die Seelen im Himmel ihr neues Heim haben.
Für die Eltern sind Freunde und nahe Familienangehörige jetzt wichtig. Wenn diese beherzt die Eltern besuchen und in ihrer Trauer begleiten, sie weinen lassen und, was immens wichtig ist, über das verstorbene Kind reden, ist das eine große Hilfe. Zum einen wird damit die Verarbeitung der Trauer eingeleitet, zum anderen ist dies ein Weg aus der Sprachlosigkeit. In vielen Städten gibt es auch Trauercafés oder Trauergruppen speziell für verwaiste Eltern und diejenigen, die nicht über einen Familien- oder Freundeskreis verfügen.
Die Neuorientierung in der Familie
Der letzte Schritt in der Trauerphase ist die Neuorientierung in der Familie. Ein Platz ist nun leer und soll auch gar nicht verschwinden oder ersetzt werden. Das verstorbene Kind wird immer seinen Platz in der Familie behalten. Aber es soll mit der Zeit auch keine Sonderstellung mehr haben. Ganz wichtig ist nun das gemeinsame Trauern und Weinen. Wenn Eltern und Kinder gelernt haben, über den Tod zu reden, ist die Zeit gekommen, in der auch innerhalb der Familie geredet wird. Und nicht nur geredet, auch Fotos oder Filme werden nun gemeinsam angeschaut, es wird wieder über lustige Begebenheiten gelacht und Erinnerungen werden hervorgeholt. Es wird nie mehr so sein wie vorher, aber der Neubeginn gibt neue Lebensenergie und letztendlich auch wieder Lebensfreude.