Medizinische Forschungen belegen, wie wirksam das Denken Selbstheilungskräfte aktivieren kann. Gedankentraining hilft sogar bei Schlaganfall und Krebs.
Edward Taub, US-Verhaltenswissenschaftler und Spezialist für Neuroplastizität, ist aufgrund seiner Arbeit mit Schlaganfall-Patienten von der Kraft des Willens überzeugt. In seinem Therapiezentrum verfolgt er das Ziel, das Gehirn seiner zumeist halbseitig gelähmten Patienten zu verändern. Taub setzte da an, wo die anderen aufhörten. Patienten mit einem Schlaganfall galten früher nach einigen Monaten als austherapiert. Änderungen hielt man ab diesem Zeitpunkt nicht mehr für möglich. Edward Taub und sein Team erreichen jedoch bei bis zu 97 Prozent ihrer Patienten erhebliche Verbesserungen.
Die Schlaganfall-Therapie mittels Gedankenkraft
Im Interview erklärte Edward Taub, warum seine Therapie funktioniert. Nach altem Denken sei eine Lähmung fest verankert. Doch sie wäre nach jüngeren Forschungsergebnissen der Neurologie nicht im Gehirn festgeschrieben. Auch ein älteres Gehirn besitzt noch weitreichende Potenziale zur Formbarkeit. Er zeige den Patienten Möglichkeiten, um ihre Lähmung schrittweise zu überwinden. In seinem Therapiezentrum tragen die Patienten dicke Fäustlinge, die den gesunden Arm ruhigstellen. In der Therapie lernen sie, sich die Bewegung ihrer gelähmten Hand zunächst wieder mit aller Macht vorzustellen. Durch die Fäustlinge entsteht der reale Zwang zum täglichen Versuch, die gelähmte Hand zu benutzen. Bereits nach wenigen Tagen wirkt dieser Zwang auf das Gehirn zurück. Durch den Schlaganfall sei ein Gehirnareal abgestorben. Benachbarte Hirnregionen werden durch wiederholte Gedankenübungen darauf trainiert, motorische Funktionen zu übernehmen. Taub beschreibt, wie sich die elektrische Aktivität des Gehirns in den Arealen um den geschädigten Bereich verdoppeln würde. Die intensiv trainierte Vorstellungskraft der Patienten zur Wiederherstellung der Beweglichkeit bringe das Gehirn dazu, neue Nervenzellen zu entwickeln und sich selbst zu kurieren.
Die Kraft des Willens kann Krankheiten lindern und heilen
Das wissenschaftlich fundierte Verfahren des Biofeedback gehört zur Schulmedizin. Es erzielte spektakuläre Erfolge bei der Behandlung der Aufmerksamkeitsstörung (ADHS), die sogar bei einigen Patienten völlig geheilt werden konnte. Bei dieser Methode werden Körperfunktionen mit sicht- und hörbaren Signalen aufgezeigt. Man misst beispielsweise Muskelspannung, Puls, Atmung, Temperatur, Hautleitwert oder Gefäßweite. Der Patient kann sehen oder hören, was in seinem Körper passiert. Er kann nachvollziehen, wie sich diese Werte durch seine Aktivitäten verändern. Man übt mit ihm, wie er seine körperlichen Vorgänge durch Willenskraft beeinflussen kann. Durch die Weiterentwicklung der Technik bieten sich immer mehr Anwendungsmöglichkeiten. Allein zur Wirksamkeit bei Kopfschmerz (Migräne) gäbe es knapp 100 medizinische Studien. Biofeedback könne bei vielen Beschwerden helfen – von Gelenkschmerzen, Verspannungen, Bluthochdruck und Durchblutungsstörungen bis zu einem gezielten Geistestraining für Epileptiker, um einen Anfall zu vermeiden.
Der Motivationscode für das Gehirn, um Krebs zu überleben
Der erfolgreiche Radrennfahrer Lance Armstrong und der Forscher Keith Bellizzi sind zwei Freunde, die eine unglaubliche Geschichte teilen. Beide hatten die Krankheit Krebs in einer Form, für die Ärzte keine guten Heilungschancen ausrechneten. Beide haben den Krebs trotzdem besiegt und anschließend bedeutsame Erfolge erzielt. Der Überlebenswille sei angeboren und in den Genen fest verankert. Doch das allein könne nicht erklären, wie sie ihr Gehirn dazu motivierten, wieder gesund zu werden. Nach solchen Diagnosen würde die Psyche oft blockieren, das Angstzentrum aktivieren, Antriebe ausschalten oder bremsen. Es gäbe jedoch eine wachsende Anzahl an Überlebenden. Allein in den USA leben etwa 11 Millionen Menschen, die den Kampf gegen den Krebs gewannen. Die medizinische Forschung führte Studien mit Krebs-Patienten durch. Im Ergebnis wurde eine Art Motivationscode für das Überleben einer Krebserkrankung gefunden. So hätten sich Überlebende radikal von ihrem alten Leben verabschiedet (Keith Bellizzi gab nach der Diagnose seinen alten Job als Manager auf und bewältigte in Rekordzeit eine gelungene Forscherkarriere). Sie planten ein neues Lebensziel, das mindestens weitere zehn Lebensjahre beansprucht (Lance Armstrong wurde 1996 diagnostiziert, er gewann die Tour de France ab 1999 siebenmal in Folge). Weiterhin reisten sie viel und wählten freiwillig aggressive Therapien. Überlebende wären vergleichsweise sehr risikobereit. Auch erzählten sie ihre Geschichte häufig – wie der Autor eines Drehbuchs mit fiktiven Details und einem erfolgreichen Ende.
Überlebende konstruierten sich in ihren Vorstellungen ein neues Bild ihrer Persönlichkeit. So programmierten sie ihr Gehirn neu. Wie Lance Armstrong formten sie ihre alten Erinnerungen um und konzentrierten sich auf die erfolgreiche Bewältigung ihrer neuen Ziele. Mediziner erforschten, wie die Überlebenden durch geistige Ausrichtung auf neue Vorhaben alte Speicherungen im Nervennetz auflösten und in veränderter Form neu verknüpften. Willenskraft könne im Gehirn eine molekulare Wirkung erzielen, die Entzündungsbotenstoffe überflutet, die Immunreaktion stärkt und Heilungsprozesse beschleunigt.