Essstörungen – zwischen Nahrungsüberangebot und Schlankheitswahn.
Zwischen einem Überangebot an Nahrung und einem extrem schlanken Körperideal nehmen die Essstörungen in unserer Gesellschaft zu.
Essstörungen und Übergewicht kommen vorrangig in den westlichen Industrienationen vor. In unser Wohlstandsgesellschaft ist einerseits ein Überangebot an Nahrung vorhanden, während andererseits ein sehr schlankes Körperideal gilt. Nahrung dient in unserem Kulturkreis dazu, Gesundheit und Immunsystem zu stärken, die Stimmung zu verbessern oder den eigenen Körper dem Schönheitsideal entsprechend zu gestalten. Schlankheit wird immer wieder mit Attraktivität, Gesundheit und Erfolg gleichgesetzt. So ist es nicht verwunderlich, dass unsere gesellschaftlichen Vorstellungen einen großen Einfluss auf die Entwicklung von Essstörungen haben. Die Anzahl der Menschen, die unter einer Essstörung leiden, ist in den letzten Jahren stetig angestiegen.
Essstörung als Lösungsversuche
Die meisten Essstörungen gehören zu den psychosomatischen Erkrankungen. Eine Sonderform bildet das krankhafte Übergewicht, weil nicht bei allen Formen ein regelhafter Zusammenhang zwischen Gewicht und seelischen Problemen hergestellt werden kann. Eine recht neue Form der Essstörungen ist zudem die Orthorexia nervosa, der krankhafte Zwang, gesund zu essen. Eine Essstörung kann als Ausdruck seelischer Konflikte verstanden werden, die aus früheren Erfahrungen resultieren. Aktuelle Probleme, Veränderungen oder Belastungen können die Symptomatik verstärken. Essstörungen können auch als eine Art Lösungsversuch verstanden werden, wenn auch mit selbstschädigendem Verhalten. Essstörungen ziehen in der Folge häufig ein angeschlagenes Selbstwertgefühl nach sich. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten ist erschüttert und die Scham macht es schwer, Hilfsangebote anzunehmen.
Magersucht – Anorexia nervosa
Die Anorexie geht mit einer Körperbildstörung einher, sodass die Betroffenen der tief verwurzelten Überzeugung sind, zu dick zu sein, obwohl sie untergewichtig sind. Magersüchtige überschätzen ihren Körperumfang und versuchen durch Diäten und Sport, ihr Gewicht zu reduzieren. Bei manchen Formen der Magersucht werden auch andere Methoden dazu genutzt, abzunehmen. Selbst herbeigeführtes Erbrechen beispielsweise oder die Einnahme von Abführmitteln, Entwässerungstabletten oder anderen Medikamenten. Häufig beginnt die Anorexia nervosa recht früh, meist im Teenageralter und betrifft vorrangig Mädchen. Nur etwa einer von zwölf Erkrankten ist männlich. Die Betroffenen ziehen ihr Selbstwertgefühl fast ausschließlich aus ihrem Gewicht beziehungsweise aus der Fähigkeit, ihr Gewicht kontrollieren zu können. Auf psychischer Ebene sind die Gedanken der Betroffenen eingeengt und kreisen stets um die Themen Ernährung und Gewicht. Die Erkrankung beginnt häufig im Teenager-Alter, wobei eine Diät, die außer Kontrolle gerät, ein Einstieg sein kann. Die Magersucht kann mit schweren körperlichen Komplikationen einhergehen und sogar bis zum Tod führen.
Die Ess-Brechsucht – Bulimia nervosa
Die Bulimie äußert sich durch anfallsartige Essattacken auf die der Versuch folgt, die dickmachende Nahrung wieder aus dem Körper zu bekommen. Der Kontrollverlust löst Gefühle von Scham und Versagen aus, sodass im Anschluss versucht wird, das Gleichgewicht durch anschließendes Erbrechen, ein Abführmittel oder eine strenge Fastenkur wieder herzustellen. Zugrunde liegt ein sehr schlankes Körperideal und die Furcht, zu dick zu werden und auch hier wird eine Körperbildstörung vermutet. Bei der Bulimie kann das Körpergewicht normal, erhöht oder auch untergewichtig sein. Zudem kann sich eine bulimische Phase an eine Anorexie anschließen. Betroffen sind hauptsächlich junge Erwachsene um die 20, Frauen mehr als Männer. Scham und Versagensgefühle führen dazu, dass die Betroffenen versuchen, ihre Erkrankung zu verheimlichen und sich sozial isolieren. Nicht selten geht die Bulimie mit Depressionen und selbstverletzendem Verhalten einher.
Essattacken – Binge Eating Disorder
Die wohl häufigste Essstörung ist die Binge-Eating-Störung, die eine der wichtigsten Ursachen für die Adipositas ist. Das anfallsartige Schlingen kommt auch im Rahmen der Bulimie vor und wird auch als Essattacke oder Heißhungerattacke bezeichnet. Eine abschließende Definition für Esssucht oder Binge-Eating-Disorder gibt es laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bisher noch nicht. Folgende Symptome können aber Hinweise auf eine Binge eating disorder geben. Es treten „Fressanfälle“ über sechs Monate an mindestens zwei Tagen in der Woche auf, unter denen die Betroffenen sehr leiden. Dazu gehört das übermäßig schnelle Essen einer Nahrungsmenge, die definitiv größer ist als die, welche die meisten Menschen in einem ähnlichem Zeitraum unter ähnlichen Umständen essen würden. Dabei handelt es sich meist um fett- und kohlenhydratreiche Nahrung, die allein zu sich genommen wird. Während dieser Zeit besteht ein Gefühl des Kontrollverlustes über das Essen. Bei der Binge Eating disorder werden in der Regel keine kompensatorischen Gegenmassnahmen ergriffen. Im Nachhinein treten Gefühle von Selbstekel, Deprimiertheit oder starke Schuldgefühle auf.
Verdeckte Essstörungen
Ein großer Teil unserer Bevölkerung ist weder über- noch untergewichtig und daher auch nicht sozial oder medizinisch auffällig. Dennoch kreisen bei vielen Menschen die Gedanken ständig um Essen und Trinken, sie beschäftigen sich mit Kalorien, guter und schlechter Nahrung, versuchen ihr Gewicht durch Sport zu halten, planen akribisch die Mahlzeiten, gehen sehr häufig auf die Waage oder versuchen beispielsweise durch Zigaretten oder Nahrungsergänzungsmittel ihr Gewicht in der Norm zu halten. So hält auch eine neue Form der Essstörung in unserer Gesellschaft Einzug, die Orthorexie, eine Art Zwangsverhalten, sich gesund ernähren zu müssen. Die Gedanken kreisen vorrangig darum, ob ein Lebensmittel gut oder schlecht ist, gesund oder ungesund. Der einfache Einkauf wird eine große Aktion und das Essen im Restaurant fast schon unmöglich.
Ursachen von Essstörungen
Gerade im Bereich Essen und Trinken sind die Übergänge von einer gesunden Lebensweise bis zu einer krankhaften Entwicklung fließend. Essen und Trinken ist etwas Alltägliches und daher selbstverständlich ein zentraler Bereich unseres Lebens. Essen ist Lebenserhaltung, Energiegewinnung, dient dem sozialen Miteinander und ist manchmal auch einfach ein Stück Luxus. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Ursachen von Essstörungen vielfältig sein können. Nicht immer lassen sie sich auf einen bestimmten Auslöser zurückführen. Forschungsergebnisse sind bisher nicht eindeutig, man kann aber davon ausgehen, dass Essstörungen eine Kombination vielschichtiger Ursachen zu Grunde liegt. Sowohl die genetische Anlage als auch familiäre Belastungen, soziale Einflüsse sowie die Persönlichkeit und die persönliche Entwicklung eines Menschen sind Faktoren, die eine Essstörung begünstigen oder auch abwehren können. Bei hartnäckigen Essstörungen kann ein Klinkaufenthalt sinnvoll sein oder auch eine ambulante, begleitende Psychotherapie. Im Zweifelsfall sollte man sich nicht scheuen, einen Experten aufzusuchen und sich beraten zu lassen.