Neurogenese definition. Früher dachten viele Neurowissenschaftler, dass das Gehirn eines Erwachsenen unveränderbar ist. Inzwischen ist klar, dass das Gehirn sich ständig wandelt.
Santiago Felipe Ramón y Cajal war ein spanischer Arzt, der sich im Besonderen um die Forschung des Nervensystems des Gehirns verdient gemacht hat. Im Jahr 1906 erhielt er aufgrund seiner Leistungen auf diesem Gebiet den Nobelpreis für Medizin. Ramón y Cajal, der 1934 starb, sagte einst: „Im Gehirn eines Erwachsenen sind die Nervenbahnen starr und unveränderbar.“
Was ist Neurogenese?
Neurogenese ist der wissenschaftliche Fachausdruck für die Bildung neuer Nervenzellen. Zunächst waren Neurowissenschaftler davon ausgegangen, dass Neurogenese im Gehirn eines erwachsenen Menschen nicht möglich sei, da Nervenzellen sich nicht teilen. Der Lehrsatz lautete: „Das Gehirn eines Menschen entwickelt sich etwa bis zu seinem siebten Lebensjahr und ist danach nicht mehr in der Lage, sich zu verändern.“
Inzwischen ist dieses Dogma widerlegt. Denn: „Das Gehirn hat ein Reservoir an neuronalen Stammzellen, die sich zu Nervenzellen oder anderen Zellen des Nervensystems ausbilden können.“ Das schreibt die Wissenschaftsjournalistin Sharon Begley in ihrem Buch Neue Gedanken, neues Gehirn.
Mit anderen Worten: Das Gehirn kann sich durch Impulse von außen durchaus weiterentwickeln. Die Umwelt verändert es, und auch wir können bewusst Einfluss auf unseren Denkapparat ausüben. Der Wissenschaftler Mriganka Sur behauptet sogar: „ Das Gehirn ist ein dynamisches Organ; Stillstand ist eine Illusion.“
Von Affen, Frettchen, Mäusen und Vögeln – Neurogenese bei Tieren
Die Mehrheit der Neurowissenschaftler glaubte nicht an die Neurogenese. Einige wenige wollten dennoch eine Antwort auf die Frage „Kann das erwachsene Gehirn eines Menschen sich noch verändern?“ Sie nahmen die Aufgabe, die Ramón y Cajal ihnen gestellt hatte, an. Immerhin hatte die Stellungnahme des Nobelpreisträgers folgendermaßen geendet: „Zukünftige Wissenschaftler stehen vor der Herausforderung, meine Aussage zu widerlegen.“
Wie so oft in der Forschung sammelten Wissenschaftler erste Erkenntnisse durch Tierversuche. So lieferten Michael Merzenich und Jon Kaas den Beweis dafür, dass „sich das Gehirn von einem ausgewachsenen Affen aufgrund von Veränderungen im sensorischen Input verändern konnte.“
Dem Inder Sur gelang es, bei Frettchen die Hörrinde in eine Sehrinde zu verwandeln. Durch eine Manipulation bei der Entwicklung des Hörnervs, konnten die Tiere das Licht hören. Dazu Sur: „Wenn die Hörrinde visuelle Reize empfängt, dann hört sie nicht mehr, sondern sieht.“
Der Neurowissenschaftler und Pionier der Neuroplastizität Fred Gage hatte bei einer Versuchsreihe mit Mäusen Interessantes herausgefunden: Bei den kleinen Nagern bildeten sich mehr neue Nervenzellen, wenn sie in Käfigen lebten, die mit Spielzeugen wie Laufrädern ausgestattet waren und sie ihrem Bewegungsdrang folgen konnten.
Mit Kanarienvögeln, amerikanischen Schwarzkopfmeisen und Zebrafinken, die regelmäßig die Melodien, die sie trällern, ändern, beschäftigte sich der Wissenschaftler Fernando Nottebohm. Er begriff, „dass bei den Vögeln, die ihre Lieder verändern, diejenigen Gehirnzellen absterben, die den Hit der letzten Saison gespeichert hatten, während diejenigen neu gebildet wurden, die für die diesjährige Melodie verantwortlich waren“, schreibt Begley. Um den endgültigen Beweis für seine Hypothese zu erbringen, musste Nottebohm die Vögel letztendlich töten, um ihre Gehirne untersuchen zu können.
Der Beweis ist erbracht – das menschliche Gehirn kann sich verändern!
Nach diesen Versuchen, steckte die Forschung zunächst fest, da die Tierversuche sich so nicht an Menschen wiederholen ließen. Und auch obwohl die Neurogenese nun in einigen Tierarten belegt war, konnten die Beweise nicht auf den Menschen übertragen werden. Zwar mag man denken, dass im menschlichen Gehirn das möglich seine müsse, was auch in den Gehirnen von Affen und Mäusen möglich sei. Auf der anderen Seite gibt es Tiere – wie zum Beispiel Katzen – bei denen keine Neurogenese stattfindet.
Schließlich hatte der schwedische Neurowissenschaftler Peter Eriksson eine Idee.
Mitte der 90er Jahre des vergangen Jahrhunderts injizierte man Krebspatienten Bromodeoxyuridine (BrdU), welches neue Krebszellen kenntlich macht und anzeigt, wie schnell Tumore sich ausbreiten. Allerdings zeigt BrdU nicht nur neue Krebszellen, sondern alle neu gebildeten Zellen an. Eriksson dachte also, dass BrdU auch neue Nervenzellen hervorheben würde. Der Gedanke war logisch, wenn auch heikel. Denn für den endgültigen Beleg benötigte er die Gehirne von Patienten, die zuvor verstorben waren.
Für das Experiment stellen sich schließlich fünf unheilbar an Krebs erkrankte Patienten im Alter von 57 bis 72 Jahren zur Verfügung. Als sie verstarben, entnahm man ihren Gehirnen unter anderem einen Teil des Hippocampus.
Die Proben gingen an das Labor von Gage. Er und sein Team untersuchten sie und fanden dabei die BrdU-markierten Zellen. „Alle Gehirnproben zeigte neue Zellen genau in den Bereichen, wo wir die Neurogenese bei anderen Arten gefunden hatten“, berichtet Gage und fährt fort: „. Durch chemische Analyse konnten wir nachweisen, dass es sich um ausgewachsene Nervenzellen handelte. Sie waren in Patienten entstanden, die zwischen 50 und 80 Jahre alt waren.“