Fließt das holde Dichterblut, dichten sich undichte Dichter durch die drei Phasen der Wundheilung ab: Reinigung oder Exdusation, Granulation & Regeneration.
Auch Dichter werden manchmal undicht; manchmal tröpfelt der Urin wegen einer Harn-Inkontinenz, manchmal tröpfelt das Dichterblut nach einer Hautverletzung aus undichten Blutgefäßen: Hier helfen dem undichten Dichter Dichtung und Wahrheit zum Abdichten der Haut meist wenig. Hier helfen dem undichten Dichter die Poesie der Thrombozytopoese (Bildung der Thrombozyten oder Blutplättchen), die Kaskade der Blutgerinnung und die Abdichtung durch die Wundheilung. Hautärzte teilen die Wundheilung in drei Phasen ein: Reinigungsphase oder Exdusationsphase, Granulationsphase oder Proliferationsphase, und Regenerationsphase.
Das kostbare Dichterblut reinigt in der Reinigungsphase die Wunde
Verletzen sich Dichter mit dem Messer oder zu scharfen Formulierungen an der Schreibhand, ergießt sich durch die Schnittwunde kostbares Blut: „Ei! wie geputzt! das schöne junge Blut!“, rief schon Mephistopheles in Goethes Faust. Und Mephistopheles hatte verteufelt recht! Das schöne junge Dichterblut dient in der ersten Phase der Wundheilung zum Putzen der Wunde. In der Reinigungsphase bluten aus der Wunde Blutzellen und Blutplasma aus. Dieses Exdusat reinigt die Schnittwunde von Fremdkörpern, schwitzt Keime und schlechte Schüttelreime aus. Gleichzeitig wandern Entzündungszellen gegen Infektionen in die Wunde ein. Das Ausbluten der Wunde endet mit der Bildung eines Blutgerinnsels – des Thrombus.
Thrombozyten & Thrombus dichten undichte Dichter ab
Die undichte Dichterhand aktiviert das Gerinnungssystem und Komplementsystem des Vollblutdichters: Chemotaktische Stoffe wie biogene Amine und viele verschiedene Proteine strömen nun durch das Dichterblut. Zusammen mit Hormonen wie Prostaglandinen locken die Signalstoffe Leukozyten (weiße Blutkörperchen) in das verletzte Wundgebiet. In die Wunde wandern verfressene Entzündungszellen des Immunsystems wie neutrophile Granulozyten ein, auch Monozyten und Makrophagen stürzen sich als Fresszellen auf die Keime. Den Thrombus bilden die platten Thrombozyten – mit zwei bis vier Mikrometern (µm) sind die kleinen Scheibchen der Blutplättchen kleiner als Bakterien. Durch Adhäsion binden die Blutplättchen über Rezeptoren auf ihrer Oberfläche an ein Protein namens von Willebrand Faktor (vWF), sowie an das Kollagen der Blutgefäßwände. Durch Aggregation lagern sich die Blutplättchen zu Thrombozyten-Aggregaten zusammen, das lösliche Fibrinogen bildet ein klebriges Fibrinnetz und verschließt mit dem Blutgerinnsel den undichten Dichter. Damit endet die Reinigungsphase nach etwa 24 Stunden.
In der Granulationsphase bilden sich neue Blutgefäße und Nervenzellen
An die Reinigungsphase schließt sich die etwa 3 bis 7 Tage andauernde Granulationsphase an. Nun wird die verletzte Wundregion der Haut bei einfachen Wunden mit neuem Bindegewebe aufgefüllt. In die Wundränder wandern spindelförmige Bindegewebszellen wie Fibroblasten ein und wuchern den Wunddefekt zu. Die Granulationsphase wurde nach dem Granulationsgewebe benannt, das bei tieferen Wunden mit Narbenbildung entsteht – es ist rot gefärbt durch oberflächliche Gefäßgranula (Körnchen). In dieser Phase baut sich das schützende Fibrinnetz des Thrombus durch Plasmin ab, wandern Endothelzellen in die Wunde ein und bilden neue Blutgefäße, sprießen neue Nervenzellen für die dichterische Empfindsamkeit. Vollkommen unempfindsam begehen dagegen viele der neutrophilen Granulozyten den programmierten Zelltod – die Apoptose.
In der Regenerationsphase regeneriert die Epidermis der Haut
Nach etwa ein bis zwei Wochen regeneriert die Epidermis unserer Haut in der Regenerationsphase vollkommen: Es bilden sich neue Keratinozyten, aus den Fibroblasten bilden sich Myofibroblasten und ziehen die Wundränder zusammen. Die Größe der Wunde wird so um die Hälfte verringert. Bei der so genannten Epithelisierung werden neue Kollagenfasern eingelagert und vieles mehr. So sorgt das Wunder der komplexen Wundheilung für eine schöne neue Haut. Damit man nach Mephistopheles nicht „Das alles derb an eigner Haut erfahren“ muss, empfahl schon E. T. A. Hoffmann in „Serapionsbrüder“ einen sorgsamen Umgang: „Denn, o Anna! jeder Tropfen Bluts, der Deinem Amandus entquillen könnte bei dem feindlichen Angriff eines verwogenen Gegners, ist herrliches Dichterblut, der Ichor der Götter, der nicht verspritzt werden darf.“