Schulmedizin – für viele angehende Heilpraktiker ein notwendiges Übel? Nicht unbedingt, es geht auch anders! Ein Schulbesuch im Berliner Südwesten.
Dienstagabend, kurz vor 18.30 Uhr. In einem gepflegten Altbau in Berlin Friedenau trudeln Schüler ein. Die besten Plätze im Klassenraum sind schnell belegt. Man umarmt sich, erzählt den Mitschülern von den Aktivitäten des letzten Wochenendes oder trifft sich in der kleinen Teeküche. Die Gruppe der Kursteilnehmer ist bunt gemischt. Es ist leicht, sich wohlzufühlen in der familiären Atmosphäre dieses Schulraums, dessen fünf Meter hohe Decken Weite und Großzügigkeit vermitteln.
Vorne am Lehrertisch steht Brigitte Bodammer, sortiert Unterrichtsmaterialien und unterhält sich mit Schülern. Ihr helles Lachen klingt durch den Unterrichtsraum. Die große, sportliche Schulleiterin hat eine herzliche Art und für jeden ein freundliches Wort. Pünktlich um halb sieben streicht sie die lockigen Haare zurück, greift zu einem kleinen Glöckchen, das auf dem Tisch steht, und läutet den Unterricht ein.
Die Notwendigkeit der Schulmedizin
Wir sind in einer Heilpraktikerschule in Berlin, doch hier geht es nicht um die Vermittlung alternativer Heilmethoden. Diese Schule in Friedenau hat sich ganz konkret auf die fundierte Vermittlung von Schulmedizin spezialisiert und ist damit eine Seltenheit in Berlin. „Die amtsärztliche Überprüfung, die für die Zulassung zur Ausübung der Heilkunde absolviert werden muss, befasst sich allein mit schulmedizinischen Basics“, so Brigitte Bodammer. „Hier bei uns gibt es die Möglichkeit, sich ohne jede Ablenkung auf die prüfungsrelevanten Fakten vorzubereiten.“
Doch wer den Unterricht verfolgt, merkt schnell: Es geht ihr nicht nur um das bloße Abdecken von Prüfungsrelevanz. Der schulmedizinische Lernstoff ist anspruchsvoll, doch in diesen Räumen ist man weit entfernt von staubigem Gebüffel. Brigitte Bodammer versteht es, das Unterrichten spannend und abwechslungsreich zu gestalten. Während des gesamten Unterrichts steht sie nicht eine Minute still. Permanent bewegt sie sich durch den Raum, vermittelt anatomische Fakten, beschreibt nachvollziehbar komplizierte physiologische Vorgänge, veranschaulicht die Pathomechanismen von Krankheiten. Sie entwickelt Mindmaps für mehr Struktur und nutzt Bilder um das visuelle Lernen anzuregen. Und scheut sich nicht, auch schauspielerisches Talent unter Beweis zu stellen. Die Zeit vergeht wie im Flug.
Begeisterung fürs Lernen macht es leichter
„Viele der angehenden Heilpraktiker betrachten Schulmedizin leider als ein notwendiges Übel, das beherrscht werden muss, um die Prüfung zu bestehen“, sagt Brigitte Bodammer später. „Ich selbst bin seit vielen Jahren Heilpraktikerin. Mir ist es aber dennoch ein Anliegen, das Interesse für die schulmedizinischen Zusammenhänge zu wecken. Der Heilpraktikerberuf hat mit großer Verantwortung zu tun und alternative Methoden brauchen eine fundierte Grundlage.“
Die Schulleiterin hat selbst Medizin studiert und weiß genau, worauf es ankommt. Ihre Begeisterung für das Fach, das sie unterrichtet, ist deutlich zu spüren. Und wirkt ansteckend. Kein Zweifel, die Vermittlung des Stoffes gelingt ihr.
Differentialdiagnosen am Frühstückstisch
Die Vorbereitung auf die schriftliche und mündliche Heilpraktikerprüfung kann an der Heilpraktikerschule Bodammer in einem oder in zwei Jahren absolviert werden. Die Schüler haben die Wahl zwischen Abendkursen oder dem blockweise stattfindenden Intensivkurs. Zudem gibt es ein speziell zugeschnittenes Kursangebot für die Prüfung zum „Heilpraktiker für Physiotherapie“.
Ergänzt wird der lebendige Unterricht durch praktische Untersuchungskurse und Seminare zu Labor- und Injektionstechniken. Bei so viel Beschäftigung mit der Schulmedizin kann es schon passieren, dass sich neue Hobbies bei den Kursteilnehmern entwickeln. Eine Schülerin berichtet von Differentialdiagnosen am sonntäglichen Frühstückstisch, an denen inzwischen die gesamte Familie mit wachsender Begeisterung teilnimmt. Und drei andere Schüler spielen nun gemeinsam Infektionskrankheiten- Quartett statt Skat.
Brigitte Bodammer selbst ist der spielerische Umgang mit den ernsten Themen wichtig. „Leider fehlt oft die Zeit, um auch im Unterricht Lernspiele unterzubringen. Aber die Schüler machen das dann in Eigenregie zuhause. Lerngruppen finden sich schnell.“ Sie lächelt, als wäre das selbstverständlich, und setzt den Unterricht nach der Pause fort. Kein Schüler hat die freien Minuten genutzt, um sich abzusetzen. Stattdessen entbrennt eine Diskussion über Ernährungsfragen bei Diabetes mellitus. Doch so ernst die Themen sind, es wird viel gelacht in der Unterrichtsstunde. Die Stimmung ist gut. Welchen besseren Beweis für Begeisterung am Lernstoff könnte es geben…