Menschen, die nach einem schweren Insult die Beine spontan überkreuzen, haben eine bessere Prognose, sich von den Hirnschädigungen zu erholen. Eine Studie.
Im Herbst 2011 ist das Thema Schlaganfall durch die medialen Auftritte von Gaby Köster wieder besonders in den öffentlichen Fokus gerutscht. Die Entertainerin hatte drei Jahre zuvor einen Insult erlitten und war seitdem den Medien fern geblieben. Nun berichtete sie über ihr Erleben dieser plötzlichen Erkrankung und das Leben danach, über Rehabilitation und Heilungschancen.
Ein Insult ist eine komplexe Schädigung des Gehirns mit multiplen Funktionsausfällen. Gerade weil die Einschränkungen so groß sind und so vielfältig, steht immer wieder die Prognose des Betroffenen im Raum. Und diese einzuschätzen gleicht einem Lottospiel. Mediziner aus München und Boston haben nun eine Möglichkeit entdeckt, diese Abschätzung aufgrund einer recht einfachen Beobachtung zu präzisieren. Wer schon kurze Zeit nach dem Insult seine Beine eigenständig überkreuzt, hat eine bessere Prognose als Betroffene, die diese motorische Leistung nicht erbringen können. Die Ergebnisse der kleinen Studie wurden am 11. Oktober 2011 in der Print-Ausgabe von Neurology, der medizinischen Fachzeitschrift der American Academy of Neurology veröffentlicht.
Von der Alltagsbeobachtung zur Studie
Im Klinikalltag machten die Untersucher immer wieder die Erfahrung, dass es schon auf der Intensivstation Unterschiede zwischen den Insultbetroffenen gibt, zumindest, was die Lagerung der Extremitäten angeht. Die einen kreuzten spontan ihre Beine übereinander, selbst unter Bewusstlosigkeit, die anderen taten genau das nicht. Gleichzeitig mit dieser Beobachtung schien es so zu sein, dass die Beinkreuzer sich besser erholten als die anderen und das ganz unabhängig davon, ob dem Schlaganfall ein ischämischer oder raumfordernder Prozess zugrunde lag, er also durch eine Mangeldurchblutung verursacht war oder das plötzliche Einbluten nach Verletzungen oder bei Gefäßschäden.
Um das genauer und auch wissenschaftlicher zu beleuchten, wählten die behandelnden Ärzte 68 vom Schlaganfall Betroffene einer Intensivstation für eine Studie aus: alle im annähernd gleichen Alter, von einem schweren Insult betroffen, künstlich beatmet, die meisten waren bewusstlos, also denkbar schlechte Voraussetzungen für eine symptomfreie Rehabilitation. In einem Punkt unterschieden sich die untersuchten Patienten aber doch, 34 von ihnen kreuzten im Bett liegend spontan immer wieder die Beine übereinander, die andere Hälfte tat das nicht.
Unterschiedliche Erholung von Insultsymptomen nach einem Jahr
Die Forscher begleiteten die Probanden für ein Jahr auf ihrem Weg und maßen das Ausmaß von Behinderung und Unabhängigkeit immer wieder mit standardisierten Tests – Glasgow Coma Scale, NIH Stroke Scale (NIHSS), modifizierte Rankin-Scale (mRS) und der Barthel-Index (BI) kamen zur Anwendung. Auch die Todesraten wurden mit einbezogen und das Ergebnis ist überraschend.
Ausschlaggebend für den prognostischen Wert des Beinkreuzens ist ein schmales Zeitfenster von 15 Tagen nach dem Insult, wer danach erstmals anfängt, die Beine spontan zu überkreuzen, profitiert nicht mehr davon. Bei den Beinkreuzern innerhalb dieses Zeitfensters zeigten sich aber sowohl bei der Krankenhausentlassung als auch ein Jahr nach der Erkrankung erstaunliche Fortschritte. Schon beim Übergang von der Klinik in den häuslichen Alltag hatten die Beinkreuzer mit deutlich weniger neurologischen Symptomen zu kämpfen: Sprachstörungen, Bewegungsstörungen, kognitive Einbußen. Aber auch noch ein Jahr nach der Erkrankung hatten die Beinkreuzer eindeutig die Nase vorn.
Der Barthel-Index misst die Alltagsunabhängigkeit von Menschen, bei einem Wert von null besteht vollständige Abhängigkeit von anderen Menschen für alle Verrichtungen, ein Wert von 100 bedeutet vollständige Unabhängigkeit. Die Nichtkreuzer erzielten im Schnitt bei Krankenhausentlassung einen Wert von 21, nach einem Jahr lagen sie bei 49, die Beinkreuzer dagegen gingen schon mit einem Wert von 34 nach Hause und landeten nach zwölf Monaten bei 71, ein Unterschied, der sich im Alltag und in der Lebensqualität deutlich bemerkbar macht.
Auch in den Überlebensraten zeigten sich signifikante Unterschiede. Im Beobachtungszeitraum starb von 34 Beinkreuzern eine Person, bei den Nichtkreuzern überlebten 18 Menschen das erste Jahr nicht.
Die Ergebnisse erfordern eine größere Studie
Das Beinkreuzen ist ein einfaches klinisches Zeichen mit hohem Aussagewert bei schweren Insulten, es erfordert zudem keine aufwändigen und invasiven Untersuchungen. Spontanes Beinkreuzen in den ersten 15 Tagen nach einem schweren Schlaganfall geht prognostisch mit weniger neurologischen Ausfällen einher, bedeutet größere Unabhängigkeit im Leben, weniger Behinderung und deutlich höhere Überlebensraten.
Nun gilt es, die Daten der zitieren Pilotstudie in einem größeren Rahmen zu verifizieren. Sollte sich hier das gleiche Ergebnis herausstellen, wird aus prognostischen Zwecken in Zukunft wohl häufiger mal unter die Decke von Insultbetroffenen geschaut.