Quälende Symptome, das Unverständnis der Umgebung, Fehldiagnosen beim Arzt und eigene Schuldgefühle machen Patienten mit Depressionen ein Leben unmöglich.
„Es ging gar nichts mehr“, so beschreibt Gundula Reinbeck die Zeit, in der sie an einer Depression litt. „Ich war ständig müde, konnte mich zu nichts mehr aufraffen. Meist lag ich im Bett und habe die Decke angestarrt. Auch mein Hausarzt konnte mir nicht helfen. Die körperliche Untersuchung und auch die Blutwerte waren völlig in Ordnung.“
Depressionen – häufig, aber zu selten erkannt
So wie Frau Reinbeck geht es trotz guter ärztlicher Versorgung immer noch zu vielen Patienten. Obwohl die Depression die häufigste psychische Erkrankung ist, wird sie viel zu selten diagnostiziert und therapiert.
Die Hälfte der Deutschen ist schon einmal mit einer Depression – sei es bei sich selbst oder bei nahen Angehörigen – in Berührung gekommen. Und die meisten stehen dieser Erkrankung hilflos oder skeptisch gegenüber. Doch man kann den Betroffenen helfen. Eine Umstellung der Lebensweise, Psychotherapie oder auch Medikamente verbessern die Situation der Erkrankten.
Doch leider suchen zu wenig Patienten wegen eines Stimmungstiefs den Arzt auf. Sätze wie „Nun reiß dich mal zusammen“ oder „Du hast doch gar keinen Grund so schlechter Stimmung zu sein,“ die viele Depressive von ihren Mitmenschen hören, tragen dazu bei, dass die Patienten sich selbst die Schuld an ihrem Befinden geben. Und selbst wenn der Hausarzt aufgesucht wird, ist es nicht sicher, dass dieser die Symptome seines Patienten als Depression erkennt.
Nicht jedes Tief ist eine Depression
Doch woran merkt man, dass man unter einer ernst zu nehmenden Depression leidet? Wohl jeder kennt zeitweilige Stimmungstiefs, Lustlosigkeit, Abgeschlagenheit oder Gereiztheit. Treten diese Symptome für kurze Zeit auf und kann sich der Patient selbst daraus befreien, liegt keine Depression vor. Halten diese Symptome jedoch an und verstärken sich im Laufe der Zeit, muss an eine ernste Depression gedacht werden.
Diese Erkrankung entsteht jedoch nicht plötzlich, der Beginn ist schleichend und erst allmählich nehmen die Symptome an Stärke zu.
Anfangssymptome richtig deuten
Es gibt aber anfangs Warnsymptome. Zieht sich ein Mensch immer mehr in sich selbst zurück, verliert er das Interesse an seiner Umwelt und gibt lieb gewonnene Hobbys auf, muss die Umwelt reagieren. Den Erkrankten dann auf seine Veränderung anzusprechen, ihm Hilfe anzubieten und mit ihm einen Facharzt aufzusuchen, kann für den Patienten sehr entlastend sein. Denn viele Patienten empfinden ihre Erkrankung als Stigma und versuchen ihre niedergedrückte Stimmung zu verheimlichen.
Keine Gefühle mehr bei der Depression
Im weiteren Verlauf der Depression kommt es zu einer Einengung des Erlebens. Oftmals ist der Depressive nicht traurig – wie es sich Gesunde vorstellen – sondern er fühlt einfach gar nichts. In ihm ist eine trostlose Leere, weder Freude, noch Kummer können empfunden werden. Dieser Zustand ist für den Erkrankten sehr schwer zu ertragen, und die meisten Patienten würden alles tun, um dieser Qual ein Ende zu setzen.
„Ich fühlte mich unlebendig, gleichgültig, wie versteinert“, so beschreibt Frau Reinbeck ihren Zustand, „nichts konnte mich mehr berühren, selbst die Liebe zu meinem Mann und den Kindern habe ich nicht mehr empfunden.“
Wollen ja – Können nein
Typisch für eine Depression ist, dass dieser schreckliche Zustand der Patienten von außen nicht beeinflussbar ist. Weder gutes Zureden noch die Aufforderung, sich nicht so gehen zu lassen, bewirkt auch nur eine kleine Verbesserung. Und dies nicht, weil die Patienten nicht wollen, sondern weil sie nicht können.
Zu dieser Blockade des Fühlens gehört eine Antriebshemmung. Erkrankte können sich zu nichts aufraffen, keine Entscheidungen treffen, jede Freude am eigenen Handeln fehlt. Dieses Nichtstun wiederum erzeugt starke Schuldgefühle und verstärkt noch die Minderwertigkeit, die die Patienten sowieso schon quält. So entsteht ein Teufelskreis, aus dem Betroffene nicht allein wieder herausfinden.
Kein Alzheimer
Auch die Konzentrations- sowie die Gedächtnisfähigkeit der Depressiven ist beeinträchtigt. Viele Erkrankte fürchten jetzt zusätzlich noch an einer anderen hirnorganischen Erkrankung, wie z.B. dem Alzheimer-Syndrom – zu leiden. Von immenser Wichtigkeit ist hier die Erklärung des Facharztes. Denn Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen sind Symptome der Depression. Diese beiden kognitiven Fähigkeiten des Gehirns sind lediglich blockiert und keinesfalls unwiederbringlich gestört!
Hektik – ohne Ziel und Plan
Obwohl viele Erkrankte an Müdigkeit und Abgeschlagenheit leiden, gibt es auch das genaue Gegenteil. Die Patienten sind unruhig, hektisch, aber in ihren Tätigkeiten absolut unproduktiv. Diese innere Unruhe lässt sich willentlich nicht unterdrücken, am liebsten würden die Betroffenen ihren Körper verlassen, kaum auszuhalten ist dieser Zustand.
Morgentief und Abendhoch bei Depressiven
Typischerweise sind Stimmung und Antrieb der Depressiven am Morgen am schlechtesten. Ärzte sprechen von einem Morgentief, gegen Abend verbessert sich die Symptomatik und manche Patienten fühlen sich zu dieser Tageszeit etwas gelöster. Häufig kommt dann jedoch die Angst vor dem Zubettgehen wieder hervor, denn ein weiteres Kriterium einer Depression sind starke Schlafstörungen mit nächtlichem Grübelzwang.
Keine Angst vor dem Tod, sondern vor dem Leben
Für Gesunde schwer nachzuvollziehen, ist das veränderte Zeiterleben der Depressiven. Obwohl einerseits die Zeit für den Erkrankten unaufhaltsam verrinnt und ihm durch die Erstarrung in der Depression Lebenszeit verloren geht, wird die Zeit, die noch vor dem Patienten liegt, als unendlich lang empfunden. „Schon mittags habe ich gehofft, dass der Tag und vielleicht auch mein Leben bald zu Ende gehen,“ erzählt Frau Reinbeck, „die Stunden bis zu Abend erschienen mir endlos lang.“ Die Suizidgefahr bei depressiv Erkrankten ist hoch. Mehr als 10% der schwer depressiven Patienten wählt den Freitod. Häufig schützt nur die Antriebsarmut den Patienten vor suizidalem Handeln.
Völlig schuldlos
Eine große Entlastung für Menschen, die an einer Depression erkrankt sind, ist das Verständnis ihrer Angehörigen, Freunde oder Arbeitskollegen. Denn die Depression ist eine schwere, manchmal tödliche Erkrankung, an der der Patient selbst keinerlei Schuld trägt und deren Verlauf er willentlich nicht beeinflussen kann.