Viele Arten leben weit voneinander entfernt, sind nicht miteinander verwandt, sehen aber sehr ähnlich aus, denn sie besetzen die gleiche ökologische Nische. Maulwurf und Maulwurfsgrille besitzen sehr ähnliche Vorderextremitäten, die sie zum Graben benutzen. Der Maulwurf ist ein Säugetier, die Maulwurfsgrille ein Insekt. Die beiden sind also genetisch nicht miteinander verwandt. Die Ähnlichkeit kommt daher, dass sie eine ähnliche ökologische Nische besetzen. Aber halt: was ist nochmal eine ökologische Nische?
Die ökologische Nische ist der Beruf eines Lebewesens
Die ökologische Nische bezeichnet nicht den Lebensraum eines Lebewesens, sondern seine Art, diesen Lebensraum zu nutzen, also seine Lebensweise oder auch seinen Beruf. Manche Tiere sind tagaktiv, andere nachtaktiv. Manche mögen es warm, andere eher kühl. Gras- und Wasserfrosch laichen zu unterschiedlichen Zeiten. Dadurch entsteht keine Nahrungskonkurrenz unter den Kaulquappen und beide Arten haben eine höhere Chance, sich erfolgreich zu vermehren.
Ringel- und Hohltaube leben im gleichen Lebensraum. Die Ringeltaube nistet im Geäst. Ihre Nahrung besteht aus Früchten, Raupen, Würmern und Schnecken aus der näheren Umgebung des Nestes. Die Hohltaube dagegen nistet in Spechthöhlen und sucht im weiten Umkreis nach Früchten. Dadurch können sie nebeneinander leben, ohne sich gegenseitig Konkurrenz um Nahrung oder Nistplätze zu machen.
Die Besetzung verschiedener ökologischer Nischen führt also zu einem konkurrenzfreien Zustand und ermöglicht es, dass viele verschiedene Tiere und Pflanzen im gleichen Lebensraum leben können. Würden zwei Arten die gleiche ökologische Nische besetzen, würde die eine Art die andere entweder in eine andere Nische abdrängen oder zu deren Untergang führen.
Konvergenz: nicht verwandt, aber ähnliches Aussehen
Maulwurf und Maulwurfsgrille haben eins gemeinsam: beide leben im Boden und brauchen dafür Grabwerkzeuge. Bei beiden Tierarten haben sich unabhängig voneinander die Vorderextremitäten so entwickelt, dass sie sich optimal für die buddelnde Lebensweise eignen. Von Konvergenz spricht man, wenn sich zwei nicht verwandte Arten auf Grund ihrer ähnlichen Lebensweise ähneln. Oft leben diese Tiere weit voneinander entfernt. Eine ähnliche Lebensweise ( = Besetzung ähnlicher ökologischer Nischen) führt zu einem gleichartigen Selektionsdruck, und der wiederum zu einem ähnlichen Aussehen. Dies kann sich auf einzelne Körperteile beschränken.
Die ähnliche Stromlinienform von Fischen, Delphinen und Pinguinen ist Folge einer konvergenten Entwicklung. Alle drei Tierarten leben (hauptsächlich) im Wasser und müssen sich tauchend schnell fortbewegen. Durch ähnliche Umweltbedingungen entstehen auf unterschiedlichen Kontinenten Tiere, welche einander entsprechende ökologische Nischen besetzen. Laut „Linder Biologie“ entstanden zum Beispiel folgende Fleisch fressende Säugetiere durch konvergente Entwicklung: Kojote (Nordamerika), Mähnenwolf (Südamerika), Wolf (Asien), Schakal (Afrika), Beutelwolf (Australien, ausgestorben).
Nicht zu verwechseln mit der Konvergenz ist die Divergenz. Bei der Divergenz entwickeln sich Lebewesen derselben Art auseinander; es entstehen zwei Schwesterarten, nachzulesen im Artikel Wie entstand die biologische Vielfalt?